Der Ruf Der Walkueren
wollte, unbemerkt feindliches Gebiet durchqueren oder sich einfach einen Spaß mit jemandem machen. Sigfrid umrundete Alberich in der Absicht, ihn zu erschrecken.
Die Augen des Stillen Volkes folgten ihm.
Verdutzt blieb er stehen.
Die Augen kamen ebenfalls zum Halt.
»Ihr seht mich immer noch!«, schmollte er.
»Die Nebelkappe ist für Alben gemacht. Ein Mensch wird nur teilweise unsichtbar.«
Sigfrid wollte es nicht glauben. Prüfend machte er einen Schritt nach links, schlug einen Haken und ging in die andere Richtung. Wie Kletten hingen die Augen der Schwarzalben an ihm. Enttäuscht zog der Junge die Tarnkappe über den Kopf und gab sie dem Albenkönig zurück. »Dann behaltet sie.«
Mit Erleichterung nahm Alberich den Umhang in Empfang, faltete ihn sorgsam zusammen und verstaute ihn in seiner Gürteltasche.
Sigfrid zog Balmung aus der Scheide und hielt dem Albenfürsten die Klinge hin. »Und jetzt leistet den Gefolgschaftseid und schwört, dass Ihr mir treu dienen und den Schatz für mich bewachen werdet.«
Alberich legte seine Hand auf den Stahl. »Ich rufe die Götter zu Zeugen an, dass wir Euch als König anerkennen und den Hort für Euch hüten werden, so lange Ihr lebt. Weder ich noch meine Sippe werden Euch je Schaden zufügen, sondern Euch jederzeit im Frieden der Sippe als Bruder willkommen heißen. Wodan möge mich strafen, wenn meine Worte Lüge sind.« Zum Zeichen der Zustimmung kreuzten die Schwarzalben ihre Arme, die Handflächen dabei geöffnet. Sie machten keine glücklichen Gesichter, doch der Schwur ihres Königs war für sie bindend. »Bist du jetzt von meiner Aufrichtigkeit überzeugt?«, fragte Alberich.
Sigfrid nickte und steckte das Schwert in die Scheide zurück. »Warum habt ihr mich angegriffen?«
»Der Ring.« Alberich deutete auf das Armgelenk des Jungen. »Wir suchten nach dem Ring.« Er warf einen bösen Blick auf einen der Umstehenden, in dem Sigfrid einen der Alben aus Mimes Hütte wiederzuerkennen glaubte.
»Nun, er gehört jetzt mir«, sagte der Tarlunge.
»Es liegt ein Fluch auf dem Ring«, mischte sich der von Alberich angefunkelte Albe – Andvari, hieß er nicht so? – ein.
»Ein Fluch? Was für ein Fluch?«
Alberich sagte etwas in der Alten Sprache zu Andvari, dem Tonfall nach nichts Freundliches. Dessen Antwort fiel nicht minder harsch aus. Das Gespräch drohte in einen Streit auszuarten, den der König durch einen barschen Befehl für sich entschied. Dann wandte er sich wieder an Sigfrid. »Nur eine Art Schutzzauber, ein Glühen. Für Menschen ungewohnt, aber es hat nichts zu bedeuten. Betrachte den Ring als Geschenk.«
Sigfrid kam nicht dazu, sich Gedanken über das merkwürdige Verhalten des Albenkönigs zu machen, denn plötzlich hatte er die Lösung eines Rätsels, das ihn seit gestern beschäftigte. »Das Schwert – ihr habt es! Es stimmt doch, oder? Und belüg mich nicht!«
Alberich wand sich, zögerte die Antwort hinaus, doch letzten Endes musste er sich geschlagen geben. Wieder sagte er etwas in der Alten Sprache, und ein gesīp brachte Mimes Meisterwerk herbei. »Du weißt nicht, welche Bedeutung das Schwert für das Stille Volk besitzt. Wir brauchen es für –«
Mit einer kurzen Gebärde schnitt Sigfrid ihm das Wort ab. »Es gehört mir. Mime versprach es mir als Lohn für meine Arbeit, und es gibt nichts, was ich heißer begehre als dieses Schwert.«
»Er hatte kein Recht, es dir zu versprechen«, schrie Alberich und legte zornig seine Ohren an. »Wir gaben es in Auftrag!«
»Aber ihr habt es nicht bezahlt, nicht wahr? Ich fand weder Gold noch Edelsteine in der Hütte. Ohnehin spielt es keine Rolle, da euer ganzer Schatz mir gehört, also auch das Schwert.« Sigfrid nahm es dem Schwarzalben aus der Hand. Ein Schauer der Ekstase erfasste ihn, als er über den kostbaren Griff strich. Das Schwert eines Helden!
Doch es war gefährlich. Sigfrid spürte den dunklen Willen der Klinge, die ihm den Gehorsam zu verweigern suchte. Er packte den Griff fester und rief sein eigenes megin zu Hilfe. Das Summen in seinen Händen wurde stärker, einem wütenden Hornissenschwarm gleich. Es war offensichtlich, dass die Kraft des Schwertes durch keinen Zauber gebrochen war. Sigfrid versuchte es auf andere Weise. Vielleicht konnte er sich mit der Seele der Klinge anfreunden, da er nicht die Macht besaß, sie zu zwingen. Er bemühte sich, im Gleichklang mit dem Summen zu schwingen, doch das Schwert war eigensinnig. »Es hat einen Namen, nicht
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