Der Ruf Der Walkueren
beeilte sich, Alberich einzuholen.
Jäh endete der Weg, sie standen an einem Felsvorsprung. Sigfrid blickte in die Tiefe und schauderte. Unter ihm öffnete sich der Schlund eines endlosen Abgrunds.
»Es ist nicht so tief, wie es scheint«, sagte Alberich hämisch und gab einen kurzen Befehl in der Alten Sprache.
Eine Handvoll Schwarzalben wälzte einen Felsen beiseite, der eine Öffnung verdeckte, in der ein dickes Seil verborgen lag, und jetzt bemerkte Sigfrid auch den eisernen, in die Wand eingelassenen Ring, an dem das Seil befestigt wurde. Dann stiegen die Alben, einer nach dem anderen, in die Tiefe hinab. Sigfrid schluckte, ergriff das Seil und schwang sich über die Kante. Immer mehr entfernte er sich von den Fackeln, während er sich Hand über Hand nach unten hangelte. Über und unter sich spürte er die Bewegung von Alben, die ebenfalls an dem Strick hinabglitten, viel schneller und geübter als er. Nach einer Zeitspanne, die ihm endlos vorkam, erreichte er zu seiner Erleichterung den Schachtgrund, wo neue Fackeln entzündet worden waren.
Wasser rann die Wände hinab und machte den Boden glitschig. Es roch feucht. Ein kleines Rinnsal floss zwischen den Füßen der Eindringlinge hindurch und verschwand in der Dunkelheit. Sie folgten seinem Lauf in das Innere des Berges. Sigfrid konnte ein Gefühl der Beklemmung nicht unterdrücken. Welche Kräfte forderten sie heraus, wenn sie sich so tief in den Leib der Erde wagten? Seltsame Felsformationen und glitzernde Kristallbäume säumten ihren Weg, Tropfsteinsäulen wuchsen aus Boden und Decke. Es war eine fremdartige Welt. Konnte dies helvegr sein, der Weg nach Hel? Je mehr Sigfrid sich umsah, desto wahrscheinlicher schien ihm, dass ihre Reise sie in die Schattenwelt führte.
Der Pfad wand sich durch einen Wald aus Gesteinssäulen hindurch wie ein großer Wurm. Speeren ähnlich ragten die Tropfsteinzapfen aus der Decke, Wächter des unterirdischen Reiches. Die Schwarzalben schritten durch das weitverzweigte Labyrinth von Gängen, ohne jemals zu zögern. War es nicht allzu wahrscheinlich, dass sie sich verirrten?
Alberich schnaubte geringschätzig auf Sigfrids Frage hin. »Wir orientieren uns nicht an markanten Punkten in der Landschaft wie ihr Menschen«, sagte er. »Wir spüren die Energiefelder der Erde. Unser Gleichgewichtssinn ist auf ihren Mittelpunkt ausgerichtet.«
Das Wasser zu ihren Füßen versickerte im Boden. Sigfrid vermutete, dass sie wieder bergauf gingen, aber er wusste es nicht mit Sicherheit. Ohne fremde Hilfe würde er den Ausgang niemals wiederfinden. Er war den Schwarzalben auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Der Gang verbreiterte sich zu einer derartigen Größe, dass es Sigfrid trotz der fackeltragenden Schwarzalben unmöglich war, die Seitenwände zu erkennen. »Wir befinden uns auf dem Boden eines ehemaligen Sees«, erklärte Alberich. Wie zur Bestätigung tauchte vor ihnen ein Tropfsteinwasserfall auf, der sich aus der Wand in die Höhle zu ergießen schien. Lagen aus Kalkstein vermittelten den Eindruck einer gefrorenen Stromschnelle und glitzerten wie Schnee. Sie folgten dem Verlauf der unterirdischen Wasserwege und durchquerten den ausgetrockneten Höhlensee in seiner ganzen Länge. Immer wieder zweigten Seitengänge ab, die sie unbeachtet ließen, bis sie am anderen Ende eine steinerne Treppe erreichten. Die Stufen waren für Alben gemacht, Sigfrid musste achtgeben, dass er genügend Halt fand und nicht abstürzte.
Die Treppe endete auf einer Plattform. Der Tarlunge betrat den Sims und hatte plötzlich einen atemberaubenden Ausblick über den ehemaligen See, der von den fackeltragenden Schwarzalben, die ihnen folgten, erhellt wurde. Von der Mitte der Plattform aus schwang sich eine schmale steinerne Brücke über einen Abgrund, und zu Sigfrids Entsetzen schickte sich Alberich auch schon an hinüberzugehen. Schwindelgefühle waren Schwarzalben fremd. Sigfrid unterdrückte seine Furcht und folgte dem Albenkönig, war aber doppelt wachsam. Ein Stoß genügte, und die Schwarzalben wären ihre Sorgen los. War die Versuchung nicht zu groß?
Unbehelligt erreichte er das andere Ende, wo ein Gang sie wieder in die Tiefe führte. Nicht lange danach hielten sie am Rande eines unterirdischen Sees. Das Wasser war so schwarz, dass Sigfrid eine Gänsehaut überlief. Es kam ihm vor, als warte der See nur darauf, sie zu verschlingen. Das Stille Volk war schon dabei, ein Floß flott zu machen, das am Ufer bereit lag. Was musste es für Mühe
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