Der Ruf Der Walkueren
Geste der Herausforderung. »Du hättest dich töten lassen sollen, wie es jeder von uns getan hätte, das wäre ehrenhaft gewesen. Stattdessen hast du den Hort einem Menschen ausgeliefert. Der Hort ist das Einzige, was uns davor bewahren kann, ausgelöscht zu werden und vom Antlitz Midgards zu verschwinden wie Schnee im Frühjahr.«
Alberich sah sich um und entdeckte in mehr als nur einem Augenpaar Groll gegen ihn. Sie alle spürten den Herbst in den Knochen, die große Müdigkeit, die alles umfing, und machten ihn dafür verantwortlich, ihre letzte Hoffnung zerbrochen zu haben. Alberichs Ohren lagen flach wie Baumblätter an seinem Kopf, nur mühsam beherrschte er seinen Zorn. »Du überschätzt die Macht des Hortes. Kein Krieger wird einem Schwarzalben dienen, gleichgültig, wie viel Gold wir ihm bieten.«
»Solange wir Reichtum besitzen, werden wir zumindest geduldet. Und Duldung haben wir bitter nötig. Die Feindseligkeit der Menschen nimmt zu, seit die Priester des Christengottes uns öffentlich verdammen.«
Einige der Umstehenden verhakten zustimmend ihre Zeigefinger. Fast jeder hatte bereits die eine oder andere unangenehme Erfahrung mit den Menschen gemacht.
»Unsere Zeit wird kommen«, erklärte Alberich. »Der Fluch des Ringes wird Sigfrid früher oder später töten. Wir brauchen nur abzuwarten.«
Wieder war es Andvari, der dem König widersprach. »Fiel es dir nicht auf, obwohl du sein Schwert an der Kehle hattest? Hat die Angst derart deine Wahrnehmung getrübt? Sein Ehrgefühl ist stärker als seine Leidenschaften. Er hat die Stimme des Ringes niedergerungen, obwohl er nicht einmal darum wusste! Selbst der Macht des Goldes hat er widerstanden! Und dazu noch Mimungs Seele bezwungen! Sein Heil ist mächtig. Er ist ein großer Krieger.«
»Er mag ein großer Krieger sein, aber er ist auch dumm. Er hat nicht einmal bemerkt, dass ich ihn mit der Nebelkappe überlistet habe.«
»Du hast ihn belogen«, sagte Andvari voll Abscheu.
Jetzt hatte der Albenkönig seine Wut nicht länger unter Kontrolle, seine Ohren zitterten. »Ich habe die Wahrheit gesagt«, fuhr er seinen Widersacher an. »Wenn ein Mensch unter der Kappe so viel Lärm beim Gehen macht, dass ihn die scharfen Ohren eines Schwarzalben aufspüren können, ist das so gut, als wäre er noch immer sichtbar.«
»Es ist wahr, Menschen haben nicht viel Verstand«, versuchte Dólgthrasir zu vermitteln. »Ihm hätte auffallen müssen, dass wir ihn nur hörten und nicht sahen.«
»Leicht abzulenken, leicht zu verwirren. Und wenn er verwirrt ist, ist sein Instinkt für Gefahren ausgeschaltet.«
Dólgthrasir begriff, dass Alberich von Brünhild sprach. »Warum hast du ihm von der Svawenkönigin erzählt?«
»Wenn er den Svawenwald durchquert, wird er auf nidhöggr stoßen«, warf Andvari ein. Ein Murmeln hob an unter dem Stillen Volk, der eine oder andere berührte zur Abwehr des Bösen seine Nasenflügel. Seit den Alten Tagen hatte niemand mehr einen Sohn der Schlange von Niflheim gesehen, und doch war dieser Drache lebendig.
Alberich bleckte die verfaulten Zähne. »Eben deshalb erzählte ich ihm von der Königin. So lange Sigfrid lebt, müssen wir ihm dienen. Wenn er jedoch – zum Beispiel durch nidhöggrs Gifthauch – getötet wird …« Er ließ das Ende des Satzes offen.
Andvari packte Alberichs Handgelenk. Er mochte den Albenkönig nicht, hatte ihn nie gemocht. In seinen Augen war er ein eitler, selbstsüchtiger Anführer. »Du hast vor den Göttern auf das Schwert geschworen, dass wir Sigfrid als König anerkennen und ihm keinen Schaden zufügen. Hast du die Macht eines gegebenen Wortes vergessen?«
Der Albenkönig sah ihn mit eisigem Blick an. »Nimm deine Hände von mir, Halbmensch !«
Andvaris Wangen brannten. Er wollte aufbegehren, Vergeltung verlangen für die zu oft gehörte Lüge, doch er beherrschte sich. Widerstrebend ließ er Alberich los. »Ich bin Schwarzalbe von Geburt und Geist, und du weißt es.«
»Man kann sich dessen nicht sicher sein, solange du dich wie ein Mensch aufführst.« Alberich wandte sich dem Rest seiner Sippe zu und wischte sich gleichmütig das Handgelenk ab, als habe Andvaris Berührung ihn beschmutzt. »Sigfrid ist der Herr des Hortes, und als solchem werden wir ihm dienen. Aber wenn er sich in Gefahr bringt, werde ich keinen Finger rühren, ihm zu helfen. Ich schulde ihm nichts.«
»Du schuldest ihm dein Leben.«
»Wenn er stirbt – durch eigene Schuld, selbstverständlich, denn kein
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