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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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anzusehen.
    Unschlüssig blieb Sigfrid stehen. War es klug, sie in diesem Zustand allein zu lassen? Sollte er Gunter von ihrem Wahn berichten? Nein, das war zu gefährlich! Ein Wort war wie ein Zauber: Worte erschufen die Wirklichkeit, man konnte sie nicht zurücknehmen. Viel böses Blut mochte aus ihrer Rede erwachsen, wenn er sie unbedacht weitertrug.
    »Geh!«
    Widerstrebend machte Sigfrid ein paar Schritte rückwärts, drehte sich resignierend um und verließ den Speicher. Draußen hielt er für einen Moment inne, um auf etwaiges Weinen oder Schluchzen zu lauschen. Aber kein Laut war zu hören.
5
    Während die anderen auf dem Burgplatz tafelten   – die Große Halle war immer noch unbenutzbar   –, begaben sich Brünhild und Grimhild in das Römerbad Tolbiacums. Ein Jahr nach Aldrians Tod hatte Gunter ein paar römische Verwalter aufgetrieben, die Erfahrung mit alten Baukonstruktionen besaßen. Es war sein Ziel gewesen, die Thermenanlagen wieder in Betrieb zu nehmen, und zumindest teilweise war ihm das auch gelungen. Das Rohrnetz für die Frischwasserzufuhr und die Abwässerkanäle stellten sich als erstaunlich intakt heraus, nur das hypocaustum , das komplizierte Heizsystem, war zu verfallen. Die Böden der Heiß- und Warmwasserbäder   – caldarium und tepidarium   – waren eingestürzt, die meisten der kniehohen Pfeiler aus quadratischen Ziegelplatten, die die Böden stützten, unbrauchbar. Es schien nicht der Mühe wert, die Heizkanäle zu reparieren, da die Franken an das Baden im kalten Fluss gewöhnt waren und daher gern mit dem frigidarium , dem Kaltwasserbad vorliebnahmen.
    Grimhild hatte die Thermen vermisst; es war ihr Vorschlag gewesen, das Bad zu besuchen. Faul lag sie im Wasser und genoss das Prickeln auf der Haut. So träge, wie sie sich von der Wasseroberfläche hin und her schaukeln ließ, trieben auch ihre Gedanken dahin. Was sie gestern getan hatte   … es war richtig gewesen   … ganz sicher   … es musste sein. Vielleicht würden ihre Mutter oder Gunter oder   … oder Sigfrid anders darüber denken. Aber sie wusste, dass sie im Recht war. Ich liebe ihn, dachte sie. Das ist alles, was zählt.
    Nie wieder wollte sie Sigfrid so abweisend erleben wie gestern. Er hatte eine Unterredung mit Brünhild gehabt, mehr war aus ihm nicht herauszubekommen gewesen. Aber er hatte den Ring in die Hand genommen, immer wieder, und ihn betrachtet, als läge darin die Antwort auf all seine Fragen. Warum hatte er sich nicht längst von dem Schmuckstück der Svawenkönigin getrennt? Warum verwahrte er es in dem Beutel mit seinen Trophäen, den er überallhin mitnahm? Sie hatte immer befürchtet, dass der Ring ihm eines Tages helfen würde, sich zu erinnern. Sie hatte Angst vor diesem Tag. Sie könnte es nicht ertragen, wenn Sigfrid sich von ihr abwandte. Wenn er sie gar hasste   … Grimhild war außerstande, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Sie brauchte ihn wie das Licht der Sonne. Nein, es war richtig gewesen, ihm den Armreif zu entwenden! Nicht länger wollte sie mit Brünhilds Schatten leben.
    Es hatte sie einiges an Mut gekostet, aber jetzt lag das Schmuckstück sicher in ihrem eigenen Beutel. Nachher würde sie es in Tolbiacum verkaufen, und dann war sie ein für alle Male von der Vergangenheit befreit. Vielleicht musste sie sich Sigfrids Zorn stellen, wenn er den Diebstahl entdeckte, aber diesen Preis zahlte sie gern für ihr Glück. Außerdem war sie sicher, ihn besänftigen zu können. Sie wusste Mittel und Wege, ihn auf andere Gedanken zu bringen. Lächelnd stellte sie sich vor, wie sie ihn verwöhnen würde, dann dachte sie an seine zärtlichen Hände und räkelte sich wohlig im Wasser.
    Brünhild besaß nicht die Geduld, still zu liegen. Zügig, mit kraftvollen Stößen schwamm sie eine Runde nach der anderen. Warum nur hatte sie Grimhilds Vorschlag angenommen, mit ihr hierherzukommen, wo allein der Anblick der blonden Fränkin ein Quell ständiger Qual für sie war? Sie wusste es nicht. Seit gestern wusste sie gar nichts mehr. Sie fühlte sich wie betäubt. Nur ihr Verstand stand niemals still und peinigte sie mit Gedanken, die in einer endlosen Schlaufe in ihrem Kopf herumgingen wie ein eingesperrter Nachtmahr: Warum? Warum? Warum leugnete Sigfrid? Warum quälte er sie so? Was hatte es für einen Sinn, so zu tun, als sei nicht geschehen, was geschehen war? Verbissen schwamm Brünhild eine weitere Runde, angetrieben von einer Energie, die auf kein Ziel gerichtet war und sie deshalb

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