Der Ruf Der Walkueren
um die Stimmen zu kümmern, die ihr nachriefen. All die Jahre über hatte sie versucht, eine Erklärung, eine Entschuldigung für Sigfrids Verhalten zu finden. Dabei war die Wahrheit so simpel: Er hatte sie benutzt. Sie stieß einen Schrei aus, schleuderte einen Schemel gegen die Wand und riss an ihren Haaren. Wie konnten ihre eigenen Gefühle sie so verraten? Wie konnte sie jemandem vertrauen, der des Vertrauens so wenig wert war? Sigfrid hatte ihr den Ring in jener Nacht abgenommen. Er hatte sie damals besiegt. Hatte sie nicht seine hürnene Haut gespürt, seinen Geruch wahrgenommen? Besiegt – und dann Gunter überlassen. Wieder entstieg ein unmenschlicher Schrei ihrer Kehle. Nicht nur, dass Sigfrid sie nie geliebt, dass er sie ausgenutzt hatte, um seinen Willen mit ihr zu haben. Nicht nur, dass er sie anschließend kalt lächelnd an einen anderen verkaufte, um dessen Schwester zu bekommen. Er hatte sie sogar für diesen Mann gefügig gemacht! Und als Krönung des Ganzen war er hingelaufen, um vor Grimhild damit zu prahlen und ihr den Ring zu schenken, den er ihr während seines schändlichen Treibens vom Arm genommen haben musste!
Brünhild stürzte zu einer Schüssel und übergab sich. Sie war entehrt. Und diese Wunde würde sich nicht schließen, sondern weiterbluten, bis ihr Leben aus ihr herausgeflossen war. Wieder würgte sie, obwohl ihr Magen längst leer war. Ihr Körper schmerzte wie eine rohe Wunde, doch ihr Verstand gönnte ihr keine Pause. Das alles konnte nur geschehen sein, wenn Gunter eingeweiht war. Brünhild lachte bitter auf. Der verständnisvolle Gunter! Beinahe hätte er sie von seiner Liebe überzeugt. Aber er und Sigfrid hatten nur ihr Spiel mit ihr getrieben. Weil sie ein Weib war, das sich nicht mit dem Schwert in der Hand Achtung verschaffen konnte, glaubten sie, mit ihr nach Lust und Laune verfahren zu dürfen! Und sie hatte nicht einmal eine Sippe, die ihre Schmach rächen und die Blutschuld einfordern würde. Doch das bedeutete nicht, dass eine Frau weniger Stolz besaß als ein Mann, und dass für sie die Gesetze der Ehre nicht galten. Sigfrid hatte seine im Angesicht Frijas geleisteten Schwüre gebrochen, dafür musste er mit Blut zahlen! Das Heil sollte sich von ihm wenden, wenn er seinen Eid brach – er hatte die Worte selbst ausgesprochen und damit sein Schicksal vorgezeichnet.
Sie hasste sich, weil sie sich vier, nein, beinahe neun Jahre lang selbst betrogen hatte, sie, die stolz auf ihren unbestechlichen Verstand war. Sie hasste Gunter für seine Lügen und Grimhild für ihren Hohn, aber vor allem hasste sie Sigfrid, der sie missbraucht und gedemütigt hatte, und jetzt, jetzt ließ sie die Stimme des Hasses frei. Und die schrie durch jede Pore ihres Körpers und erfüllte sie mit ekstatischer Hitze. Teller, Krüge, Schalen flogen gegen die Wand. Ihr Herz verlangte nach Rache. Rache!
Gunter stand in der Tür und verfolgte sprachlos ihre Raserei. »Was … was hast du?«
»Nichts mehr, weder Sippe noch Ehre!«, schleuderte sie ihm entgegen. »Deine Schwester darf mich nach Herzenslust verhöhnen, die Kebse zweier Männer zu sein. Sigfrid darf sich damit brüsten, seinen Willen mit mir gehabt zu haben. Aber da du selbst Teil an meiner Entehrung hast, wird es dich nicht weiter kümmern.« Sie zwang sich zu einer geisterhaften Ruhe. »Höre meinen Schwur: Wenn nicht meiner Ehre Genüge getan wird, wenn der Makel, der mich befleckt, nicht mit Blut abgewaschen wird, soll keine Freude mehr im Heim der Niflungen wohnen. Das gelobe ich vor Frija und Wodan.«
Fassungslos riss Gunter die Augen auf. »Er … Sigfrid hat bei dir gelegen?«
Wollte er sie verhöhnen? Sein Entsetzen schien echt. Vielleicht hatte sie sich getäuscht, wenigstens was seine Kenntnis der Vorgeschichte anging. Er mochte sie mit Sigfrids Hilfe bezwungen haben, aber in Bezug auf dessen Treueschwüre in Svawenland war er wirklich nur der ahnungslose, dumme Gunter. »Hat er es dir verheimlicht? Ein Betrüger legt den anderen herein!« Sie lachte bitter.
Der Niflungenkönig schloss die Augen. Er hatte Sigfrid für einen Krieger von Ehre gehalten und ihm vertraut. Die lange Stille im Schlafgemach, das jungfräuliche Blut an sonderbarer Stelle … Sigfrid hatte seinen Willen mit Brünhild gehabt und ihr das Magdtum genommen! Er hatte sie beide betrogen! »Dafür wird er bezahlen«, presste Gunter zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich begreife, dass du mich dafür verachtest, dass ich einen
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