Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
Tate verspürte den unsinnigen Wunsch, das Bullauge zu öffnen und es wieder ins Meer zu werfen.
Man brauchte kein Experte für Edelsteine zu sein, um zu erkennen, dass allein der Rubin in der Mitte unbezahlbar war. Es war nicht schwierig, das Gewicht des Goldes zu schätzen und sich seinen gegenwärtigen Marktwert vorzustellen. Hinzu kamen die Diamanten, das Alter des Schmuckstücks, seine Geschichte – und was kam dabei heraus? Vier Millionen Dollar? Fünf?
Sicher genug, um Gier, Lust und Rache zu rechtfertigen.
Eine erstaunliche Arbeit, dachte sie. Überraschend einfach trotz ihres Glanzes und ihres Feuers. Jede Frau, die das Schmuckstück trug, würde bewundernde Blicke auf sich ziehen. In einer Ausstellungsvitrine wäre es das Prunkstück eines jeden Museums. Um den Fluch der Angelique herum könnte sie die beeindruckendste, spektakulärste Sammlung der ganzen Welt aufbauen.
Ihre beruflichen Träume würden sich mehr als je gehofft verwirklichen, ihr Name wäre in aller Munde. Geldmittel für Expeditionen würden ihr zufließen wie ein Fluss dem Meer.
All das und mehr würde auf sie warten. Sie brauchte nur das Amulett zu verstecken, nach Nevis zu fahren und einen einzigen Anruf zu tätigen. Innerhalb von Stunden würden sie und ihr Fund nach New York oder Washington unterwegs sein und die Welt der Meeresforschung auf den Kopf stellen.
Sie schreckte auf und ließ die Kette auf ihr Bett gleiten. Entsetzt starrte sie darauf.
Was hatte sie da nur gedacht? Wie konnte sie den Gedanken auch nur in Erwägung ziehen? Seit wann bedeuteten ihr Ruhm und Reichtum mehr als Loyalität und Ehrlichkeit? Als Liebe?
Zitternd presste sie die Hände vor ihr Gesicht. Vielleicht war das verdammte Ding wirklich verflucht, wenn es sie schon nach so kurzer Zeit dazu brachte, ihre Grundsätze zu vergessen!
Sie wandte ihm den Rücken zu, ging zum Fenster, öffnete es und atmete die Seeluft ein.
In Wahrheit würde sie das Amulett, das Museum, würde sie alles gern aufgeben, wenn sie Matthew dadurch von seinem selbstzerstörerischen Kurs abbringen könnte. Sie würde es VanDyke persönlich übergeben, wenn dieser Verrat den Mann retten könnte, den sie liebte.
Vielleicht würde ihr genau das gelingen. Sie drehte sich um und studierte das Amulett noch einmal. Dann nahm sie es hoch und schob es unter die ordentlich gefalteten Kleidungsstücke in ihrer mittleren Schublade.
Sie musste schnell handeln. Durch die Tür zur Brücke sah sie die Mermaid . Sie beobachtete, wie ihre Mutter im Rhythmus zu einem Schlagersender im Radio vor sich hin hämmerte. Buck war unterwegs nach Saint Kitts, das wusste sie, und ihr Vater und LaRue arbeiteten am Wrack.
Also blieb nur Matthew, und von ihm war nichts zu sehen. Es gab keine bessere Zeit, keinen günstigeren Augenblick.
Mit klopfendem Herzen schlich sie die Treppe zur Brücke hinauf. Sie hoffte, dass die Vermittlung in Nevis ihr dabei behilflich sein würde, sich mit Trident Industries in Verbindung zu setzen. Ansonsten würde sie eben Hayden ausfindig machen müssen. Gemeinsam würden sie sicher einen Weg finden, um an VanDyke heranzukommen.
Sie meldete ein Gespräch an und wünschte, sie wäre mit Buck an Land gegangen. Das hätte ihr Vorhaben deutlich erleichtert.
Nachdem sie zwanzig frustrierende Minuten gewartet hatte und mehrmals weiterverbunden worden war, hatte sie endlich Trident in Miami in der Leitung, was sie allerdings kaum weiterbrachte. Dort wollte niemand auch nur zugeben, dass Silas VanDyke mit der Organisation in Verbindung stand. Tate bestand jedoch darauf, dass die Dame in der Telefonzentrale ihre Nachricht notierte und an die entsprechenden Stellen weiterleitete.
Und sie zweifelte nicht daran, dass genau das passieren würde. Aber ihr blieb nur wenig Zeit.
Und jetzt Hayden, beschloss sie und hoffte, dass er die Nomad bereits verlassen hatte und sich wieder in North Carolina aufhielt. Abermals meldete sie ein Gespräch an und wurde über den Atlantik nach Norden durchgestellt.
Doch ihr Gespräch wurde nur von Haydens Nachrichtenservice entgegengenommen.
»Ich habe eine Nachricht für Dr. Deel. Es ist dringend.«
»Dr. Deel befindet sich im Pazifik.«
»Das weiß ich. Hier spricht Tate Beaumont, seine Kollegin. Ich muss ihn so schnell wie möglich erreichen.«
»Dr. Deel ruft seine Mitteilungen regelmäßig ab. Ich leite Ihre Nachricht gern weiter, wenn er sich meldet.«
»Sagen Sie ihm, dass Tate Beaumont dringend mit ihm sprechen muss. Dringend!«,
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