Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
als ich es aus dem Sand zog?«
Tate wendete den Stein, bis er das weiße Mondlicht reflektierte. Licht und Schatten tanzten. Plötzlich war es so still, dass sie das leise Plätschern der Wellen am Bug hörte.
»Die Zeit und das Salzwasser konnten ihm nichts anhaben.
Genauso strahlend und glänzend muss es ausgesehen haben, als sie es zuletzt trug.«
Da VanDyke mit unbeweglichen Augen weiter wie hypnotisiert auf das Amulett starrte, trat Tate zurück und hielt den Stein hoch. »Ich glaube, sie trug es an jenem Morgen, als sie auf den Scheiterhaufen geführt wurde. Und er, der Mann, der für ihre Verurteilung verantwortlich war, wartete vor der Zelle und nahm es ihr ab.«
Ihre leise Stimme klang beruhigend. »Weil er sie nicht haben konnte, nahm er ihr die letzte irdische Verbindung zu dem Mann, den sie liebte. Zumindest glaubte er das. Aber er konnte die Verbindung zwischen den beiden nicht trennen, genauso wenig wie der Tod es vermochte. Im Geiste sprach sie seinen Namen aus, während der Rauch ihre Lunge füllte und die Flammen um ihre Füße schlugen. Etiennes Namen. Ich höre sie, VanDyke. Und Sie?«
Er starrte Tate an wie eine Ratte die Schlange und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Es gehört mir.«
»Oh nein, es gehört ihr, und es wird ihr immer gehören. Das ist das Geheimnis des Amuletts, VanDyke, darin besteht seine Magie und seine Macht. Die, die das nicht verstanden und es für ihre eigenen Ziele missbrauchen wollten, brachten den Fluch über sich selbst. Wenn Sie es nehmen«, murmelte sie mit fester Stimme, »sind Sie verdammt.«
»Es gehört mir«, wiederholte er. »Ich habe ein Vermögen dafür ausgegeben, es zu suchen.«
»Aber ich habe es gefunden. Sie stehlen es nur.« Inzwischen hatte sie sich fast bis zur Reling vorgetastet. Ist das ein Motorengeräusch, fragte sie sich, oder nur eine Wunschvorstellung? Würde sie die Menschen, die sie liebte, retten oder töten, wenn sie jetzt schrie?
VanDyke starrte immer noch in ihre Richtung, und ihr Herz sank wie ein Stein. Seine Augen blickten wieder klar und ruhig, ohne den wahnsinnigen Glanz.
»Sie glauben, ich weiß nicht, was Sie vorhaben? Sie wollen
Zeit herausschinden, bis Ihr starker Held zu Ihrer Rettung herbeieilt. Schade, dass er es nicht tut, dann könnten Sie beide zusammen sterben. Jetzt habe ich Ihnen lange genug zugehört, Tate. Geben Sie das Amulett mir, sonst bekommen Sie die erste Kugel in den Unterleib anstatt ins Herz.«
»In Ordnung.« Ihre Finger fühlten sich seltsam leicht und sicher an. Es war fast so, als ob sie gar nicht zu ihr gehörten, als ob sie selbst irgendwo außerhalb ihres Körpers stehen würde. »Wenn Sie so scharf darauf sind, holen Sie es sich – und bezahlen Sie den Preis.«
Tate schleuderte es in hohem Bogen ins Meer und machte sich auf einen Schuss gefasst.
VanDyke schrie auf. Der Laut war unmenschlich, erinnerte sie an ein Tier, das Blut wittert. Er stürzte zur Reling und sprang in das schwarze Wasser. Doch bevor er untertauchen konnte, war Tate ihm auch schon gefolgt.
Die Wahnwitzigkeit ihres Plans war ihr bewusst, und doch konnte sie nicht anders, sie füllte ihre Lunge mit Luft und tauchte unter.
Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie weder das Amulett noch ihn jemals mitten in der Nacht ohne Maske, Sauerstoffflasche und Licht finden würde. Doch als ihre Logik gerade Oberhand über ihren Instinkt gewinnen wollte, sah sie vor sich einen Schatten. Ungeahnte Wut stieg in ihr auf, und sie stürzte sich wie ein Hai auf ihn.
Hier unten in der luftleeren Welt traf seine Stärke auf ihre Jugend und ihre Kraft, seine blinde Gier auf ihre Wut. Tate hatte keine Waffe außer ihren Händen und Zähnen, und die setzte sie erbarmungslos ein.
VanDyke griff nach ihr und versuchte, verzweifelt die Oberfläche zu erreichen, um Luft zu holen. Doch obwohl ihre eigene Lunge schmerzte, hielt sie ihn unten, bis er einen Tritt landen und sich von ihr lösen konnte. Sie schwamm durch das dunkle Wasser nach oben.
Dort wartete er bereits auf sie und schlug wild nach ihr,
während sie darum kämpfte, ihre Lunge mit Sauerstoff zu füllen. Sein Gesicht wirkte durch das Wasser und das Salz in ihren Augen verzerrt und irgendwie animalisch. Er holte noch einmal aus. Sie kämpften wortlos miteinander, die unheimliche Stille wurde nur gelegentlich von ein paar keuchenden Atemzügen unterbrochen.
Tate keuchte. Das Salz brannte in ihren Augen. VanDyke hielt sie fest und schnappte selbst nach Luft. Ihre Hände verloren an
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