Der Ruf der Wellen: Roman (German Edition)
er keine Überlebenschance gehabt. Glücklicherweise besitzt er ein starkes Herz. Wir können zuversichtlich sein.«
Die Hoffnung war zu schmerzhaft. Matthew nickte nur. »Wollen Sie damit sagen, dass er überleben wird?«
»Seine Chancen werden stündlich besser.«
»Und wie hoch sind diese Chancen?«
Farrge taxierte ihn einen Augenblick lang. Für manche Menschen waren Beschönigungen ein unzureichender Trost. »Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Nacht überlebt, liegt bei etwa vierzig Prozent. Wenn er es schafft, würde ich seine Aussichten höher einstufen. Natürlich ist eine weitere Behandlung
erforderlich, sobald sich sein Zustand stabilisiert hat. Ich werde Ihnen Spezialisten empfehlen, die einen guten Ruf haben, was die Behandlung von Amputationspatienten angeht.«
»Ist er bei Bewusstsein?«, fragte Marla leise.
»Nein. Er braucht jetzt eine Weile absolute Ruhe, dann verlegen wir ihn auf die Intensivstation. Ich rechne nicht damit, dass er in den nächsten Stunden zu sich kommt, und schlage vor, dass Sie der Schwester eine Nummer geben, unter der wir Sie erreichen können. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung, sobald eine Veränderung eintritt.«
»Ich bleibe«, erklärte Matthew entschlossen. »Ich will ihn sehen.«
»Wenn er auf der Station ist, können Sie ihn besuchen, aber nur für einen Moment.«
»Wir suchen uns ein Hotel.« Ray stand auf und legte eine Hand auf Matthews Schulter. »Dann können wir uns im Krankenhaus abwechseln.«
»Ich weiche nicht von der Stelle.«
»Matthew!« Sanft verstärkte Ray den Druck auf seine Schulter. »Wir müssen als Team arbeiten.« Er sah seine Tochter an und verstand ihren Blick. »Marla und ich suchen uns Zimmer und kümmern uns um alles Notwendige. Wir kommen später zurück und lösen Tate und dich ein paar Stunden lang ab.«
Die Gestalt auf dem Bett war an unzählige Schläuche angeschlossen. Geräte summten und piepten. Auf der anderen Seite der dünnen Gardine hörte Matthew das leise Gemurmel der Krankenschwestern, ihre eiligen Schritte, während sie sich um ihre Patienten kümmerten.
Aber in diesem engen, dunklen Raum war er mit Buck allein. Er zwang sich dazu, den sonderbaren Umriss unter dem Laken eingehend zu betrachten. Er wird sich daran gewöhnen müssen, dachte er. Beide würden sie sich daran gewöhnen müssen.
Vorausgesetzt, dass Buck überlebte.
Im Augenblick sah er mehr tot als lebendig aus. Sein Gesicht wirkte schlaff, sein Körper lag bewegungslos auf dem schmalen Bett. Normalerweise wälzt er sich im Schlaf herum, dachte Matthew, zerrt an den Laken und schnarcht so laut, dass der Putz von den Wänden bröckelt.
Jetzt lag er ruhig und still wie in einem Sarg.
Matthew nahm Bucks breite, vernarbte Hand, wohl wissend, dass die Geste beiden peinlich wäre, wenn Buck bei Bewusstsein gewesen wäre. Dann studierte er das Gesicht, das er so gut kannte wie sein eigenes. Und dennoch: Warum war ihm noch nie aufgefallen, wie dicht und grau gesprenkelt Bucks Augenbrauen waren? Und seit wann zogen sich diese tiefen Falten um seine Augen? Die Stirn dagegen war so glatt wie die eines jungen Mädchens.
Du lieber Himmel, dachte Matthew und kniff die Augen fest zusammen. Buck hatte sein Bein verloren.
Matthew kämpfte gegen die aufsteigende Panik an und beugte sich zu seinem Onkel hinunter. Das Geräusch von Bucks Atemzügen tröstete ihn.
»Das war ein verdammt blöder Einfall von dir. Es war ein Fehler, dich so vor mich zu drängen. Vielleicht hast du dir eingebildet, du könntest mit dem Hai ringen, aber anscheinend bist du auch nicht mehr so schnell wie früher. Jetzt bildest du dir vermutlich ein, dass ich dir etwas schulde. Aber wenn du abkassieren willst, musst du erst mal überleben.«
Er drückte Bucks Hand fester. »Hörst du mich, Buck? Du musst leben, damit ich meine Schuld begleichen kann! Denk darüber nach. Wenn du mich im Stich lässt, verlierst du, und die Beaumonts und ich teilen uns obendrein deinen Anteil an der Beute. Dein erster großer Treffer, Buck, und wenn du dich nicht zusammenreißt, wirst du nicht einen Dollar davon ausgeben.«
Eine Schwester steckte ihren Kopf durch die Gardine und erinnerte Matthew sanft daran, dass die Zeit um war.
»Es wäre wirklich schade, wenn du nicht mehr dazu kämst, den Ruhm und den Reichtum auszukosten, so wie du es dir immer erträumt hast, Buck. Denk darüber nach. Die Schwester schmeißt mich jetzt raus, aber ich komme wieder.«
Im Flur lief Tate ruhelos auf und ab,
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