Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
sie wüssten, dass es Monate her war, seitdem er mit einer Frau geschlafen hatte? Es wäre kaum ein Pluspunkt für seinen Ruf. In Wahrheit war es für ihn immer schwieriger geworden. Nicht körperlich. Bislang hatte er weder sich noch seine Partnerinnen enttäuscht. Aber er konnte die Zeit vorhersehen, wenn es so sein würde. Es schien eine immer größer werdende Anstrengung für ihn zu sein, sich mit Frauen … einzulassen, sei es auch nur für ein flüchtiges Intermezzo. Auf dem Kontinent hatte er mit allen geschlafen, auf die er Lust gehabt hatte. Hart, kalt hatte er an den Frauen Rache für Cecily und Angela genommen. Er war nur froh, dass er sich bei diesen sexuellen Freiheiten nicht ein Andenken eingefangen hatte. Aber letztlich war ihm all das öde geworden. Jetzt konnte er für König und Vaterland mit ihnen schlafen, und gelegentlich übermannten ihn seine Bedürfnisse, aber im Grunde genommen fand er daran keinen Geschmack mehr. Er fand an nichts mehr Geschmack.
Er beobachtete, wie die Herren das Haus verließen. Die Gräfin komplimentierte gerade Blendon zur Tür hinaus, als John aufstand. Er hatte sich entschlossen, eine Einladung abzulehnen, für die jeder Mann in London gemordet hätte, dessen war er sich sicher. Er schaffte es vorzutäuschen, dass er fest auf beiden Beinen stand. »Ich muss auch gehen, geschätzte Gastgeberin.«
Ihre fein geschwungenen Augenbrauen zogen sich zusammen. Offensichtlich war sie es nicht gewöhnt, zurückgewiesen zu werden. »Wie Sie wünschen«, sagte sie, und ihre reizende, vibrierende Stimme klang fast ausdruckslos. »Vielleicht werden sich unsere Wege irgendwann wieder kreuzen.«
Er lächelte. »Daran zweifle ich nicht. Sie halten doch jeden Dienstag und Donnerstag Hof.«
»Natürlich nur mit einer Einladung.«
»Dann vielleicht bei anderen Gelegenheiten.« Er würde ihr nicht die Genugtuung verschaffen, ihn verdutzt zu sehen. »Vielleicht auf dem Ball der Herzogin von Bessborough am Sonnabend?« Er bezweifelte, dass die Gräfin eingeladen worden war. Gräfin oder nicht, sie war eine Frau, die außerhalb der Regeln der guten Gesellschaft lebte. Und er wollte sie dafür bestrafen, ihm das Gefühl gegeben zu haben, sich klein zu fühlen.
»Zweifellos«, entgegnete sie glatt. »Oder bei Lady Hertfords Gesellschaft?«
»Ich kann es kaum erwarten.«
Er verbeugte sich kurz und schlenderte in einer gelungenen Imitation von Unbekümmertheit die Treppe hinunter, dorthin, wo die Diener mit seinem Hut und seinem Stock und seinem Mantel warteten.
Was für ein unmöglicher Mann! Jetzt stand sie hier, noch erregt vom Geruch seines Blutes, aber ohne einen Mann, sie zu befriedigen. Er konnte keinen Zweifel an ihrer Absicht gehabt haben. Hatte sie eigentlich je ein Mann zurückgewiesen?
Beatrix lief die Treppe hinauf in ihr Boudoir, wobei sie ihren Schal aus schwarzer Norwich-Seide hinter sich herzog. Vielleicht hatte er Zweifel an seiner Leistungsfähigkeit gehabt, denn er musste gedacht haben, sie wollte eine sexuelle Begegnung. Das musste es sein. Er war durch den Blutverlust und den Überfall geschwächt. Was das anbelangte, hätte sie nicht guten Gewissens Blut von jemandem nehmen können, der durch diesen weiteren Verlust vielleicht ohnmächtig werden konnte. Aber was hatte sie eigentlich von ihm gewollt?
Betty half ihr aus dem Kleid. Beatrix hoffte, das Mädchen würde ihre Verwirrung nicht bemerken. Ungeduldig schickte sie die Zofe aus dem Zimmer und versuchte dann, durch tiefe Atemzüge ihr Blut zu beruhigen. Es rührte sich rebellisch in ihren Adern. Sie atmete noch einmal tief ein. Langsam zog sich derjenige, der das Blut mit ihr teilte, in ihren Adern zurück. Das Rühren wurde weniger heftig. Beatrix seufzte, sie hatte sich wieder unter Kontrolle.
Aber hatte sie wirklich die Kontrolle? Sie fühlte sich selbst einen Abhang hinuntergleiten, auf dem sie sich seit vielen Jahren befand. An dessen Fuß war ein schwarzer See, den sie wiedererkannte, aber nicht verstand …
Amsterdam, 1088
Die Diener waren fort, das Haus abgeschlossen. In ihrem zerrissenen roten Kleid hetzte Beatrix durch die schmutzigen Gassen und die sich windenden schmalen Straßen. Sie wollte zu ihrer Mutter. Sie wollte zu Marte. Aber sie waren fort. Martes Genick war gebrochen, und ihre Mutter hatte … sie verlassen. Hatte sie einfach verlassen.
Sie war nicht gut genug gewesen, um geliebt zu werden. Und was würde ihre Mutter jetzt über sie sagen?
Die Nonnen hatten sie zur Näherin
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