Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
ihre Vibrationen verbergen, es sei denn, Asharti käme ihr nah genug, sie zu entdecken. Sie musste John nach Paris bringen.
Wie konnte sie jetzt ruhig planen, wenn sie ihn doch gerade zum Vampir gemacht hatte? Hatte sie nicht geschworen, niemals einen Vampir zu erschaffen? Was sie getan hatte, widersprach allem, woran sie seit der Trennung von Asharti geglaubt hatte.
Sie wandte sich zum Fenster. Ein lächelnder Mond schimmerte durch die raschelnden Blätter einer Erle. Sie hatte Quintoc in der Wut darüber getötet, was er John angetan hatte, und das ohne Skrupel. Sie hatte Barlow getötet, weil er die Erlösung verweigert hatte. Ihre Hände waren mit Blut befleckt. Warum hatte sie nicht auch Jerry töten können? Weil er ein Opfer zu sein schien und noch erlöst werden konnte? Und was war mit John? Er hatte um den Tod gebettelt. Er war ein geschaffener Vampir, und die Regeln verlangten, dass er getötet werden musste.
Würde John zu einem Ungeheuer wie Asharti werden, weil er ein geschaffener Vampir war? Würde er andere erschaffen, würde er seine Opfer quälen und deren letzten Tropfen Blut trinken? Seine dunklen Wimpern berührten seine Wangen. Wie wenig sie von ihm wusste! Was veranlasste einen Mann, für sein Land zu spionieren? Es war ein schmutziges Leben, das einen Preis forderte, bei welchem die Seele erfror. Er tat es nicht des Geldes wegen. Für die Ehre? Welche Ehre?
Sie atmete tief durch und beschloss, mit sich selbst ehrlich zu sein. Sie hatte sich geweigert, ihn zu töten wegen der Gefühle, die sie für ihn empfand. Die Wahrheit war, dass John Staunton ihr unter die Haut gegangen war wie kein anderer Mann seit … nun, seit Stephan. Er hatte Geheimnisse wie sie auch. Er war vom Leben verletzt worden wie sie auch. Aber er hatte einen guten Kern. Ein Mann, der Blake und Turner liebte, konnte nicht wie Asharti sein. Er hatte gekämpft, um seinem Land zu dienen, trotz allem, was er über die Menschen wusste. Fast eine zweite Unschuld. Sie konnte nicht einer Welt gegenübertreten, die nicht die Möglichkeiten hatte, für die John stand. Sie konnte sich irren. Gott wusste, dass sie sich in Stephan und Asharti geirrt hatte. Aber sie hatte sich entschieden, an John zu glauben.
Vielleicht war dies die wahre Probe von Stephans Theorie. Veränderte es die Persönlichkeit, wenn man zum Vampir gemacht wurde? Oder bewirkte der Gefährte lediglich die Abschwächung der naturgegebenen Neigungen eines Menschen? Sie würde es herausfinden und ebenso John. Er würde ihr für das, was sie getan hatte, nicht danken. Eher schon würde er sie als Ungeheuer verabscheuen und sich selbst darüber hinaus auch. Aber es war geschehen. Er würde mehr von ihrem Blut brauchen, und wenn sie ihn zum Trinken zwingen musste.
Aber zuerst mussten sie von hier fort. Ein paar Kleider für John, eine Kutsche vom Wirt, und sie waren auf dem Weg nach Paris. Weil Asharti ihnen bald auf den Fersen sein würde.
Beatrix stützte John, damit er trinken konnte, obwohl er fast bewusstlos war. Das kleine schäbige Zimmer in einer Mansarde im Marais war kein Ort, an dem Asharti nach ihnen suchen würde, so dachte Beatrix jedenfalls. Asharti würde vermuten, dass es Beatrix nach der vornehmen Atmosphäre eines eleganten Hotels oder einer Wohnung verlangte. Im Marais fanden sich reizende alte Häuser, aber die Reichen waren im letzten Jahrhundert von hier weggezogen, hatten diesen Teil der Stadt dem Verfall überlassen, hatten ihn dem Vordringen der industriellen Entwicklung geopfert. Jetzt war das Viertel voll von Häuserruinen, die als Wohnungen vermietet oder als Lagerhäuser genutzt wurden.
»John«, sagte sie scharf und wandte ihre Suggestionskraft an. Sein Blick irrte wie durch Nebel hinauf bis zum Schmerz. Er atmete krampfhaft und unterdrückte ein Stöhnen. »Trink«, befahl Beatrix. Er schluckte das Wasser aus dem Becher, den sie ihm an den Mund hielt. Sie hatte die Erschaffung eines Vampirs nie miterlebt. Und ganz gewiss hatte sie nie einen erschaffen. Aber von Stephan wusste sie, dass dieser Prozess schrecklich war. Er hatte recht gehabt. Es war demütigend zu sehen, wie viel Schmerz sie verursacht hatte. John litt jetzt schon seit Tagen ganz entsetzlich.
Sie biss sich auf die Lippen und ließ John in die Kissen zurücksinken. Er verfiel sofort in einen Zustand, der von einem Koma nicht weit entfernt war. Sie wrang ein Tuch über einer Schale Wasser aus, die neben seinem Bett stand, und schlug seine Decke zurück. Seinen Leib mit
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