Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
Schieber unter zwei der Brotlaibe, drehte sich um und beförderte sie in einen Backofen. Dann stocherte sie in den Kohlen mit einem Feuerhaken herum, bis bedrohliche Funken aufstoben.
Er sah sich verzweifelt um. Er spielte das alles nur, doch in seinem Innern fühlte es sich seltsam real an. »Lassen Sie mich ihr meine Liebe erklären … mit Ihrem Papier und Ihrer Feder … Sie können es in das Brot einbacken, das Sie ihr bringen.«
»Ich glaub, ich hör nicht recht!«, bellte die Stämmige. »Sie wollen uns wohl in Schwierigkeiten bringen?«
Aber die beiden anderen waren unschlüssig. Es war gerade die Art von Geste, die auf jemanden wirkte, dem die Arbeit an einem Ort wie diesem noch nicht alle Romantik ausgetrieben hatte. »Wer immer es hinaufbringt, sagt zu ihr: ›Achten Sie auf das Brot, Mylady, es wurde mit Liebe gebacken.‹ Das ist alles, was Sie tun müssen. Sie wird es verstehen. Sie wird vorsichtig sein. Sie werden nicht erwischt werden.«
»Ich werde es hinaufbringen«, platzte das junge Mädchen heraus. »Ich werde es ihr sagen.«
Die alte Frau tippte sich mit dem Finger an die Lippen. Die Stämmige wandte sich um. »Du wirst für mich heute Abend raufgehen, Marie? Und morgen auch?«
Das junge Mädchen schluckte und nickte.
»Ich gehe nicht wieder, bis …« Die Stämmige zählte ihre Finger ab. »Ich werde gar nicht mehr hinaufgehen.« Ein zahnloses Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ich werde Ihr Brot backen.« Sie ging zu John. »Setzen Sie sich, junger Mann, und schreiben Sie hübsch Ihr Gedicht. Gib ihm deine Feder, Jeaunty.«
»Sie kann mir auf der Rückseite antworten.«
»Du wirst meine Feder nicht in einen Brotlaib einbacken«, protestierte die Alte.
»Ich denke, eine Feder würde man vielleicht bemerken«, wandte das junge Mädchen zögernd ein.
John sah sich um. Eine große Schüssel mit Obst stand auf einem der Tische, auf einem zerbeulten Zinnteller daneben lag eine Rebe Weintrauben zusammen mit einem Stück Käse. »Ist der Teller für meine Verlobte?«
Das junge Mädchen nickte.
»Warum bringen Sie ihr nicht einen von diesen Granatäpfeln?«
»Der Saft ist ähnlich wie Tinte, ich verstehe. Aber womit soll sie schreiben?«, fragte die Alte unsicher.
»Mit dem Fingernagel natürlich …«, sagte John, während er die Feder mit einem Schälmesser spitzte. »Sie werden mir den Hof unter ihrer Zelle zeigen, und sie wird es zu mir herunterwerfen.« Er schaute hinauf zur Steindecke, die von Ruß geschwärzt war. »Es könnte das Letzte sein, was ich von ihr haben werde.« Gott, er hoffte, dass sein jämmerlicher Plan gelingen würde. Alles hing von Beatrix ab.
Das junge Mädchen seufzte.
»Mein Erster wurde gehängt«, sagte die Alte. »Ich wünschte, ich hätte eine letzte Nachricht von ihm gehabt. Ich werde Sie auf den Hof bringen.« Dann putzte sie sich mit ihrer Schürze die Nase.
Jetzt, lieber Gott, mach, dass Asharti nicht bei ihr ist und sie bewacht. Er würde wieder Ashartis Weg kreuzen. Und dieser Gedanke ließ John zittern.
Kapitel 21
B eatrix kauerte in einer Ecke der Zelle, so weit entfernt vom Fenster zum Hof, wie sie nur konnte. Jetzt war es dunkel, aber den ganzen Tag über hatte das hereinfallende Licht sie gequält. Zwar hatte sie ihre blauen Augengläser aus dem Pompadour und ihren Umhang. Und sie hatte sich in eine Ecke verkrochen, in die kein direktes Sonnenlicht fiel. Aber die Helligkeit im Allgemeinen verursachte ein schmerzhaftes Prickeln auf ihrer Haut. Für die kurzen Aufenthalte im Sonnenlicht, die in normalen Zeiten notwendig waren, war das erträglich, aber nach den vielen Stunden wurde es fast unerträglich.
Ihre Gefängniswärter hielten sich außerhalb des Lichtes auf; sie lauerten in den verdunkelten Zellen nebenan oder auf dem Gang. Gesichtslos und schweigend verstärkten sie noch die Unwirklichkeit der Situation, in der Beatrix sich befand. Von Zeit zu Zeit versuchte sie, die Macht ihres Gefährten herbeizurufen, um die Grenzen ihrer Wächter auszuloten. Aber allein schon der Versuch alarmierte die Vampire, und ihre Augen begannen heller zu glühen. Die Macht ihres Gefährten erreichte Beatrix nicht.
Natürlich hatte sie auch nicht schlafen können. Sie hatte alle Nahrung verweigert, nicht aus Angst vor Gift, sondern weil sie keinen Appetit hatte. Als ihr Schicksal wahrscheinlicher und unausweichlicher wurde, begann sie zu denken, dass es vielleicht eine Antwort auf ihren langen Kampf gegen die letzte Reise nach Mirso war.
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