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Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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gepflasterte Straße wankten einmal und stabilisierten sich dann. Der Schmerz ließ nach. John begann, zum Pont Neuf zu laufen.
    Er hätte ewig laufen können, so stark fühlte er sich, aber er wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Nachdem er die Seine überquert hatte, blieb er neben der Ruine stehen, die einmal die Kirche St. Jacques la Boucherie gewesen war. Dass die Gilde der Schlachter eine so schöne Kirche hatte bauen können, erschien immer noch wie eine Bestätigung des einfachen Mannes. Es war jedoch auch der einfache Mann gewesen, der sie während der Revolution zerstört hatte. Jetzt stand nur noch der auffallende gotische Turm. Er schaute hinauf. Vielleicht konnte eine Republik nichts Außergewöhnliches ertragen. Dennoch stand der Turm wie ein mutiger Vorposten des Außergewöhnlichen da.
    Beatrix würde hingerichtet werden, und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Er, so stark er sich auch fühlte, war nicht stark genug, um Ashartis Klammergriff zu brechen. Er wollte sich auf die Brust schlagen und herausschreien, dass die Welt es ja nicht wagen sollte, etwas so Kostbares und Außergewöhnliches wie Beatrix zu verlieren.
    Aber welche Welt meinte er? Die des Tageslichts mit ihren Millionen von Menschen? Die Welt der Menschen? Sie war nicht länger seine Welt. John zwang sich zur Ruhe, während er an dem einsamen Turm hinaufschaute. Er brauchte jemanden, der stärker als Asharti war. Jemanden, der kommen würde, um Beatrix vor ihr zu retten.
    Stephan Sincai.
    Beatrix hatte gesagt, Sincai könnte Asharti aufhalten, wenn er es denn wollte. Und trug er nicht eine gewisse Verantwortung für Ashartis gegenwärtige Schreckensherrschaft? Er hatte beide aufgezogen. Er musste gewusst haben, was Asharti war. Wie konnte ein Mentor es nicht gewusst haben? Beatrix liebte ihn noch immer. Sincai war ihresgleichen. Er hatte sie gelehrt, das zu sein, was sie war, hatte sie gelehrt zu lieben. Wen liebte sie außer ihm? Er wappnete sein Herz gegen den Schmerz, den diese Frage auslöste. Was zählte, war Beatrix. Wenn sie diesen Sincai liebte, dann würde er kommen, um sie zu retten.
    Sein Verstand begann, sich auf diesen Ausweg zu konzentrieren. Sincai lebte in Amsterdam. Über fünfhundert Kilometer entfernt von hier, fast sechshundert, und noch einmal so viel für den Rückweg. Beatrix sollte am Sonntag hingerichtet werden. Heute war Mittwoch, kurz vor der Morgendämmerung. Die Straßen waren gut. Wenn er Tag und Nacht durchritt, die Pferde alle vierzig oder fünfzig Kilometer wechselte … Es war machbar. Nur die allerbesten Pferde. Es würde ein teures Vorhaben werden. Aber dank seines Glücks beim Kartenspiel und der Banknoten in Beatrix’ Pompadour war er gut ausgestattet. Konnte man so lange Tag und Nacht reiten? Vielleicht konnte man es, wenn man so stark wie er war. Er würde es herausfinden.
    Ah, aber bei Ta g und bei Nacht reiten! Wie sollte das gehen? Er konnte bei Tage nicht einmal aus dem Fenster sehen. Und wenn er nur nachts unterwegs war, würde er niemals rechtzeitig zurück sein. Es war nicht hinnehmbar, dass er deshalb die einzige Chance zu Beatrix’ Rettung nicht nutzen konnte. Sollte er eine Nachricht schicken? Aber was, wenn Sincai nicht kam? Nein, John musste persönlich dorthin. Er würde nicht zulassen, dass dieser Kerl sich weigerte. John musste nach Amsterdam. Und er musste ebenso am Tag wie in der Nacht reiten. Er schaute herunter auf den Pompadour, den er noch in der Hand hielt, das Letzte, was er von Beatrix hatte. Eine Brille mit verdunkelten Gläsern … Sehr gut. Er schluckte. Handschuhe. Ein Umhang mit einer Kapuze, die er sich aufsetzen konnte. Den unteren Teil des Gesichts verhüllen.
    Er wandte sich um und begann zu laufen. An der Place Gervais gab es einen Stall, der Pferde vermietete.
    Beatrix’ Sinne begannen sich zu verdunkeln. Lange Tage im Licht, nur geschützt durch ihr dünnes Nachthemd, und Schlaflosigkeit in der Dunkelheit forderten ihren Preis. Die Helligkeit in der Zelle verletzte ihre Augen und reizte ihre Haut wie mit spitzen Nadeln. Sie brauchte Blut. Sie hatte ihr Blut für John hingegeben, und jetzt, da Asharti ihr es nicht erlaubte zu trinken, war sie schwach und hatte Schmerzen.
    Sie verbrachte die Tage zusammengekauert auf dem Boden in der Ecke und schützte ihre Augen mit den Händen. Sie versuchte, an John zu denken, der auf dem Weg in die Sicherheit war, um ihre Gedanken von ihrem hungrigen Gefährten abzulenken, der beharrlich an ihren Adern kratzte,

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