Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
benachrichtigen. Er wird die Kräfte zusammenrufen.«
Sincai räusperte sich. »Die Angelegenheit drängt ein wenig. Asharti benutzt ihre neu geschaffenen Schüler dazu, Beatrix im Gefängnis zu bewachen. Sie wird Beatrix durch die Guillotine hinrichten lassen.«
Khalenberg wurde erst noch blässer, dann rötete sich sein Gesicht. Auch John fühlte, wie sein Gefährte sich protestierend gegen diese einzig sichere Art zu sterben in ihm erhob. Beatrix hatte gesagt, dass der Gefährte nur dafür existierte, gegen den Tod seines Wirtes zu kämpfen. Khalenberg sah Sincai prüfend an, dann nickte er. »Sie sind zu weich«, sagte er, fast wie zu sich selbst. »Aber sie ist eine von uns. Wir können einer Geschaffenen nicht erlauben, die Geborenen zu töten.« Er holte tief Luft. »Wann?«
»Heute Nacht, fürchte ich.«
»In Paris?« Khalenbergs buschige Augenbrauen zogen sich über der Hakennase zusammen. »Zu weit für die Translokation, wenn wir noch genügend Kraft zum Handeln übrig haben wollen, sobald wir dort sind.«
»Ich würde frische Pferde und ein gewisses Tempo vorschlagen«, bemerkte Sincai. John war drauf und dran, die Köpfen der beiden zusammenzuschlagen, wenn sie nicht sofort aufstanden.
Khalenberg ging in Gedanken die Kalkulation durch, die John sich in den vergangenen Stunden tausendmal überlegt hatte. »Wir können es schaffen, wenn sie es um Mitternacht anberaumen.«
Falls Asharti es nach Sonnenuntergang plante, würden sie es nicht schaffen.
Khalenberg sah John zum ersten Mal an. »Er ist erschöpft.«
John errötete, reckte aber das Kinn vor, um sich seiner kritischen Prüfung angemessen zu stellen.
Sincai seufzte. »Leider. Offensichtlich hat Asharti sich eine Weile mit ihm beschäftigt, bevor er das Geschenk bekam. Seit seiner Gewöhnungsreaktion war weniger als eine Woche vergangen, als er in Amsterdam eintraf.«
Khalenberg runzelte die Stirn. »In diesem Fall sollten wir … Moment! Seine Vibrationen sind schneller als bei einem, der vor so kurzer Zeit geschaffen wurde.« Khalenberg wandte sich Sincai zu.
Sincai zuckte die Schultern. »Er weiß, wo Beatrix ist. Das wird Zeit sparen. Ich habe ihm von meinem Blut gegeben.«
»Sie haben Ihren Gefährten mit ihm geteilt?«, spöttelte Khalenberg. »Sie sind zu weich.«
»Ein wenig altes Blut sorgt dafür, dass wir sein Wissen nicht verlieren. Wir können die Situation später jederzeit ändern.«
Sincai hatte also vor, ihn zu töten. Nun, es berührte ihn nicht. Und Khalenberg würde ganz gewiss nicht an seinem Grab weinen. Ob Beatrix weinen würde? Sie würde keine Gelegenheit dazu haben, es sei denn, sie retteten sie.
»Also gut. Dann also Sie und ich, Sincai.« Khalenberg erhob sich.
»Können wir jetzt aufbrechen?«, fragte John entnervt.
Khalenberg wandte sich voller Missfallen zu ihm und wollte etwas erwidern.
John schnitt ihm das Wort ab. »Und nehmen Sie so viel Geld mit, wie Sie zusammenkratzen können.«
»Was?«, fragten Sincai und Khalenberg wie aus einem Munde.
»Wenn wir zu spät kommen, um Beatrix aus dem Gefängnis zu holen, wird sich schon eine große Menschenmenge versammelt haben. Wenn Sie nicht wollen, dass jeder in Paris sieht, wer Sie sind, werden wir ein Ablenkungsmanöver brauchen.« Er machte auf dem Absatz kehrt und ging, um frische Pferde zu bestellen. Er ließ die beiden Männer stehen, damit sie darüber nachdachten.
Die Schatten wurden im Zwielicht länger, und Beatrix kehrte von dort zurück, wo sie gewesen war. Sie blinzelte und schaute sich in der vertrauten Zelle um. Sie fragte sich, wie sie Ashartis kranke Geschichten noch einmal ertragen sollte.
Das Zwielicht wurde zur Nacht. Keine Asharti. Nur die roten Augen ihrer anonymen Bewacher, während sie sich wispernd unterhielten. Was sagten sie?
Ah. Heute Nacht war die Nacht. Sie hatte es vergessen. Das Fallbeil würde zumindest Ashartis Sticheleien verstummen lassen. Beatrix stellte sich eine johlende Menge Tausender Menschen vor. Sie waren gekommen, um zu spekulieren, ob der Kopf, der hochgehalten wurde, gewusst hatte, was mit ihm geschehen war, und zu erschauern, wenn sie erkannten, dass es nur einen Weg gab, das herauszufinden. Würde Asharti John mitbringen? Würde es eine Marter oder ein Trost sein? Wenn sie ihn sah, musste sie ihn irgendwie wissen lassen, wie sehr sie ihn liebte, wie leid es ihr tat, dass sie ihn zu etwas gemacht hatte, was er nicht sein wollte.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Tat es ihr leid, dass sie sterben
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