Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
anmerken. »Reiten wir zur Place du Trône?«
»Sie wird in der Conciergerie gefangen gehalten«, keuchte John. »Aber sie haben die Guillotine zur Place de Grève gebracht. Wenn wir die Rue de Charonne entlangreiten und über die Place de la Bastille, erreichen wir die Place de Grève, bevor wir zur Conciergerie kämen. Dieser Weg ist der sicherste.«
Sincai nickte. »Denken Sie daran: Keine Machtdemonstration vor der Menge. Wenn es vorbei ist, treffen wir uns im nördlichen Querschiff von Notre-Dame, unter der Fensterrosette.« Er wendete sein Pferd und sprengte voran. John folgte ihm, Khalenberg bildete die Nachhut.
Der Karren kam nur langsam voran, weil die Soldaten in ihren leuchtend roten Uniformen ihm den Weg durch die Menge bahnen mussten. War die letzte Hinrichtung so lange her, dass jeder in der Stadt auf der Straße war, um ihr beizuwohnen? Bauern vom Lande und Arbeiter, Händler und deren Frauen, leichte Mädchen und Diebe, aber auch vornehme Herren und Damen in ihren sicheren Kutschen waren auf dem Weg über den Pont au Change. Beatrix konnte sich kaum die Menschenmenge vorstellen, die sich auf dem Platz versammelt haben musste, auf dem die Guillotine stand.
Sie schwankte auf ihrem rumpelnden Karren, starrte geradeaus auf Ashartis Rücken und blendete die Schreie und Schmährufe der Menge aus. Es war einsam hier, aufrecht auf dem Karren, im Angesicht all der Menschen um sie herum. Sie sollte daran gewöhnt sein. Der Wagen bog langsam in den Quai de Gesvres ein. Die Seine schwappte zu ihrer Rechten gegen die Ufermauern. Die Menschen drängten jetzt geradeaus voran; die auf der Flussseite waren voller Furcht, sie könnten ins Wasser gestoßen werden. Der Karren fuhr schneller.
Sie bogen nach links ab auf einen großen Platz ein.
Beatrix spannte sich unwillkürlich an. Die riesige Silhouette der großen Hinrichtungsmaschine ragte aus der Mitte der sich drängenden Menschenmenge wie ein Turm auf; ihr abgeschrägtes Fallbeil schimmerte im Licht von tausend Fackeln.
Sie hatten Madame la Guillotine auf die Place de Grève gebracht. Ein Schrei brandete auf, als die Menge den Karren sah. Die Blutgier, die in der Luft lag, war fast mit Händen zu greifen. Elegante Fassaden von Häusern aus vergangenen Jahrhunderten umstanden den eckigen Platz. Aber das Bild wurde nicht von der vulgären grölenden Menge oder den Gebäuden dominiert, sondern von der bösartig simplen Eleganz der Erfindung Antoine Guillotines.
Beatrix versuchte zu atmen. Ihr Nacken prickelte vor Anspannung. Ihr Gefährte protestierte, aber nur schwach. Sie brachte ihn zum Schweigen.
Die Menge teilte sich vor dem Karren. Die Zeit schien zu rasen. Beatrix hatte nur Augen für die Plattform, die das Ende einer langen, langen Reihe von Jahren bedeutete. Ein stämmiger Mann stand bereit, um die Leine zu ziehen. Hinter ihm stand ein Uniformierter, vermutlich der Scharfrichter. Ein runzliger Mann in einem streng geschnittenen blauen Mantel hielt eine große Schere in den Händen, mit der er ihr das Haar abschneiden würde. Antoine Guillotine hatte seine Erfindung als die einzig humane Art angepriesen, einen Menschen zu exekutieren. Ein Herabgleiten von Metall, nachdem das schwere Fallbeil gelöst wurde, ein rascher Schlag, und es war vorbei. Die Augen blinzelten manchmal noch, wenn der Kopf hochgehalten wurde. Die Lippen bewegten sich. Dennoch, im Grunde ging es nur um einen Augenblick, und dann kam nichts mehr. Beatrix hoffte, dass es dieses Nichts gab. Sie wollte nicht wieder fühlen, niemals mehr, auch nicht im Jenseits. Ihr Wunsch ging vielleicht nicht in Erfüllung. Sie würde vielleicht in der Hölle schmoren für das, was sie zusammen mit Asharti getan hatte. Was immer nach dem Tod kam, sie würde es bald herausfinden.
Der Karren hielt unterhalb der Plattform. Der hohe Rahmen der Guillotine hielt das Fallbeil bereit, hoch über Beatrix. Asharti stand genau davor, triumphierend und voll Häme; ihr Gesicht wirkte im flackernden Fackelschein unmenschlich. Beatrix sah John nirgendwo. Der Rauch von Fackeln wehte über die Menge. Deren Brüllen verschwamm zu einem Rauschen. Beatrix konnte die Worte nicht mehr verstehen.
Asharti gab den Vampiren einen Wink. Es war Jerry, der Beatrix’ Strick durchschnitt und sie zum Ende des Karrens führte. Merkwürdigerweise zitterten ihr die Knie. Jerry und ein weiterer Vampir ergriffen Beatrix an den Ellbogen und zerrten sie die Stufen zur Plattform hinauf. Sie fuhr zusammen.
»Ich bin in der Lage, allein
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