Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
geschwenkt und über dem Wasser der Bucht ausgeleert.
Eine Klage der Verzweiflung lief durch die Menge.
»Schafft sie nach unten. Heute kein Freigang an Deck.« Der Lieutenant machte auf dem Absatz kehrt und zog sich ans Ende des Achterdecks zurück, um mit seinen Offizieren zu sprechen. Wachen begannen, die Männer nach unten zu treiben.
»Jeder auf sein Deck«, riefen sie.
Die Gefangenen kletterten mit hängenden Schultern und Köpfen nach unten. Das zu nehmen, was an Wenigem diese Männer besaßen, mochte ihren Geist gebrochen haben. John schämte sich zutiefst dafür, dass englische Männer ihre Mitmenschen auf diese Weise behandelten.
Auf den unteren Decks waren tagsüber die Außenluken geöffnet; nur das unterste Deck bekam Licht und Luft lediglich durch die Luken, die auf die Decks darüber führten, deshalb war es hier unten selbst am Morgen dämmrig und feucht. Die Gefangenen reichten drei Leichen hinauf, nachdem sie ihnen alles abgenommen hatten, was noch irgendwie von Wert war. Reynard beendete einen Streit, der dabei entstand, mit einem scharfen Wort.
John stellte sich denjenigen vor, die unmittelbar um ihn herum waren, und hoffte, Dupré zu finden, hatte aber kein Glück. Reynard und Vidal, der Mann, dessen Hängematte über ihm hing, setzten John schon bald ins Bild über das Leben an Bord des Gefängnisschiffes. Normalerweise übten die Männer alle Arten von einfachen Fertigkeiten aus: Sie schnitzten oder flochten Strohhüte. Sie handelten mit den Kaufleuten aus Portsmouth um das Material zur Herstellung und verkauften die fertigen Waren für einen Hungerlohn im Vergleich zu dem, was sie wert waren. Die Schillinge, die sie verdienten, wurden gebraucht, um Nahrungsmittel zu kaufen, damit sie nicht langsam verhungerten, oder um Luxusgüter wie Spielkarten oder eine anständige Decke zu erwerben. Doch all das war jetzt weg. Der Lieutenant hatte ihnen sowohl ihre Vorräte weggenommen als auch die Materialien zum Anfertigen ihrer Waren.
Johns Magen rebellierte gegen seine erste Mahlzeit an Bord. Das Brot, so wenig es davon gab, war innen fast noch roh und klebrig, außen dafür verbrannt; das gekochte Gemüse war kurz vor dem Verfaulen gewesen, als es in der Suppe landete. Es gab kein Fleisch, das nur jeden zweiten Tag ausgeteilt wurde; aber seine Mitgefangenen versicherten ihm, dass es immer kurz vor dem Verderb oder schon verdorben war. Johns Magen zog sich in stillem Protest zusammen.
Am Nachmittag, beim Freigang über das Unterdeck, stieß er auf die Gefangenen von der französischen Fregatte Reliant . Er unterdrückte seine Genugtuung und begann eine Unterhaltung über die entsetzlichen Bedingungen an Bord. Dupré war, wie sich herausstellte, von fahler Gesichtsfarbe; er hatte strähniges Haar und brennende braune Augen unter schweren Brauen. »Ich freue mich, jemanden kennenzulernen, dessen Ruhm ihm vorausgeeilt ist.«
Die Augen des Mannes wurden schmal.
»Du bist für den Kaiser ein Mann von großer Bedeutung«, erklärte sich John hastig. Aber dem nachdenklichen Gesicht des Mannes entnahm er zufrieden, dass er den Samen der Neugier gesät hatte. Sie blieben beide auf der Hut und sprachen über Dieppe. Dupré hatte dort gelebt, und John wusste genug über die Stadt, um in Erinnerungen schwelgen zu können.
»Warum sollte ein einfacher Kaufmann in dieser Hölle enden?«, fragte Dupré mit verschleiertem Blick.
»Einige Kaufleute sind gar nicht so einfach.« John sprach leise. »Ich habe Handel mit England getrieben.«
Dupré hegte offensichtlich leise Zweifel. Niemand anders hätte es bemerkt, aber John entging es nicht. »Viele Händler missachten das Gesetz, ohne auf einem Gefängnisschiff zu landen.«
John lächelte leicht. »Ich habe Wolle für die Uniformen unserer glorreichen Armee gekauft.« Er schwieg einen Moment. »Vielleicht dachten sie fälschlicherweise, ich würde auch mit weniger materiellen Dingen handeln.«
»Ahhh.« Dupré nickte. Er sah aus, als wollte er eine Frage stellen, schwieg jedoch.
Gut , dachte John. Lass ihn ein wenig nachdenken. »Ich weiß inzwischen, dass Geld viele Widrigkeiten auf diesen Gefängnisschiffen aus dem Weg räumt. Wir sind Brüder aus Dieppe. Gefällt Ihnen das Unterdeck, Monsieur? Oder wollen wir uns unseren Weg die Leiter hinaufhandeln?«
Dupré war nicht abgeneigt. Reynard half John, einen Platz auf dem Kanonendeck auszuhandeln. John investierte einen ganzen Louisdor, um einen Platz nicht nur für sich, sondern auch für Dupré und
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