Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
Reynard zu erkaufen. Reynard akzeptierte seine Geste des guten Willens, nahm ihn aber dann beiseite. »Lass dich hier nie zu Großzügigkeit oder irgendeinem anderen Gefühl hinreißen«, warnte er John. »Auf den Gefängnisschiffen musst du dir angewöhnen, dein Herz vor allem Mitgefühl zu verschließen. Es ist der einzige Weg, um zu überleben.«
Reynard konnte nicht wissen, dass zumindest Dupré kein Objekt selbstloser Großzügigkeit war, und John sagte es ihm auch nicht. Die drei Männer nahmen ihre neuen Plätze in Beschlag. Auf dem Kanonendeck hatten sich einige Gefangene einen kleinen persönlichen Platz hergerichtet, an dem sie Bücher verwahrten; andere hatten auf einem umgedrehten Fass mit schmierigen Karten gespielt. All das war jetzt ebenfalls fort – bis auf eine Staffelei, die neben einer Luke stand. Darauf stand ein vorzüglich in Öl gemaltes Bild, auf dem eine maritime Szene zu sehen war. Die Ölfarben glänzten noch feucht auf einer Palette und wurden in kleinen Flaschen auf einem Regal verwahrt.
»Sie scheinen Glück zu haben«, sagte John zu dem Maler. »Nur Ihnen sind Ihre Habseligkeiten geblieben.«
Der Maler schnaubte. Er war ein gut aussehender junger Mann von vielleicht achtundzwanzig Jahren. »Ich bekomme ein Pfund pro Bild, aber der Lieutenant kriegt zehn. Und der Kerl, der sie in Portsmouth verkauft, kriegt zwanzig. Der Lieutenant gräbt sich doch nicht seine eigene Einkommensquelle ab.« Er verbeugte sich. »Louis Garneray.«
»Er macht seinen Schnitt bei allem, was wir verkaufen. Ich gebe seinem Verbot drei Tage«, sagte Reynard.
Eine Idee nahm in Johns Kopf Gestalt an, ein Fetzen nur, aber er war ausbaufähig.
»Monsieur Garneray«, sagte er und schaute auf das schöne Bild, das elf Schiffe im Hafen von Portsmouth zeigte. Es war sehr präzise gemalt. »Haben Sie jemals Stiche angefertigt?«
»Ich habe ein wenig Holzschnitt gemacht und ein wenig Kupferstich, bevor ich zur Marine gegangen bin.« Der junge Mann zog verwirrt die buschigen Brauen zusammen.
»Falls jemand Sie finanzieren würde, könnten Sie dann durch Ihre Beziehungen die nötigen Materialien beschaffen, die man zum Stechen benötigt? Sie würden auch Spezialpapier und Tinte brauchen.«
Garneray nickte vorsichtig. »Es würde eine Woche dauern.« Reynard sah fragend drein.
»Dann betrachten Sie mich als Ihren Bankier«, sagte John. »Ich habe einige sehr spezielle Szenen für Sie zu zeichnen. Ich glaube, sie werden ein Segen für Ihre Mitgefangenen sein.«
»Spezielle Szenen?«, fragte Garneray. »Was für Szenen? Hat es etwas mit Schiffen zu tun?«
»Ich würde eher sagen mit … Handel. Die Bank der Grafschaft hat sich das ursprünglich ausgedacht.«
»Aha«, sagte Reynard, der allmählich verstand. Er nickte John zu. »Sie, Sir, sind ein gefährlicher Mann und ein Neuzugang, der uns willkommen ist.«
Die Gefangenen auf der Vengeance waren zu neunzig Prozent Franzosen, und sie hatten ihre eigene Gesellschaft gebildet, mit eigenen Regeln und einer eigenen Form von Justiz. Die wenigen Wärter, die gebraucht wurden, um das schwimmende Gefängnis zu bewachen, blieben auf dem Toppdeck, um den Freigang zu überwachen, oder in ihren Quartieren, um zu spielen. Sie wagten sich nicht auf die unteren Decks. Deshalb wurde die Ahndung von Straftaten in der Regel den Gefangenen selbst überlassen. Streitigkeiten wurden von einem Rat aus acht Männern geregelt und Bestrafungen auf ihren Spruch hin durchgeführt. Diebstahl wurde unnachsichtig mit Auspeitschen bestraft – was nicht überraschte, denn das Wenige, was ein Mann besaß, war alles, was zwischen ihm und Hunger, Krankheit oder Tod stand.
An diesem Nachmittag stellte sich heraus, dass einer der Gefangenen sein Kartenspiel hatte retten können, weil er es am Körper versteckt hatte. John stieg zusammen mit Dupré in das Spiel ein. Sie spielten Macao. John wusste, er würde seinem Opfer noch keine Information entlocken können, aber er wollte dafür sorgen, dass Dupré ein zweites Treffen anstrebte. Nichts erzeugte so sehr Vertrauen, wie bei einem Kartenspiel Geld von einem Mann zu gewinnen. Deshalb setzte er eine kleine Menge seiner Sous ein, um sie mit aller Entschlossenheit an Dupré zu verlieren.
Es war schwer. An einem Punkt schließlich, nachdem John trotz aller Bemühungen zu verlieren das dritte Blatt in Folge gewonnen hatte, begann er sich zu fragen, ob Dupré absichtlich so schlecht spielte. Duprés Miene war so schwer zu ergründen, wie John es
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