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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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Trockenheit nichts anhaben konnte.
    In einiger Entfernung sah Tara Unterstände für die Schafschur und etwas, das aussah wie ein Küchenhaus, dem hohen Kamin nach zu urteilen, der daraus hervorragte.
    Weiter rechts erkannte sie Hundezwinger, in denen einige Welpen herumliefen. Sie lächelte, als sie sich vorstellte, wie glücklich die Kinder sein würden, wenn sie die jungen Hunde sahen.
    Während Tara noch die Welpen beobachtete, näherte sich ein Mann den Zwingern. Ihr Lächeln erlosch, als sie sah, wie er den Tieren mit einer Hand drohte, weil sie am Draht hochsprangen. Sie duckten sich, als er das Tor öffnete und etwas Futter in den Zwinger warf – es waren große Stücke rohen, tiefroten Fleisches. Die Hunde hatten ihren Wassernapf umgeworfen, doch derMann füllte ihn nicht wieder auf. Sogar von ihrem Platz am Fenster aus konnte Tara erkennen, dass die Zwinger dringend gesäubert werden mussten. Der Mann war nicht groß und wirkte hager und drahtig. Tara nahm sich vor, dem Verwalter von seinem Verhalten zu berichten, der seinem Namen nach ein Landsmann von ihr sein musste. Wenn er es mit Victoria wirklich so gut meinte, wie Ethan sagte, dann würden sie sich vielleicht gut verstehen.
    Tara stieg weiter die Stufen hinauf und fand die erste Tür auf der rechten Seite, die nur leicht angelehnt war. Langsam ging Tara darauf zu, und ihr Herz pochte so rasend schnell gegen ihre Rippen, dass sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Durch den Türspalt sah sie eine Frisierkommode und ein Stück von einem Teppich auf dem gebohnerten Holzboden.
    Sie tat einen tiefen Atemzug und klopfte leise, bevor sie die Tür etwas weiter aufstieß. Jetzt sah sie eine auf dem Bett sitzende Frau, deren Profil ihr vertraut vorkam. Doch die Haare der Frau waren von grauen Strähnen durchzogen und im Nacken zu einem unordentlichen Knoten gewunden. Sie starrte durch eine offene Balkontür hinaus und schien über etwas nachzudenken – oder vielleicht träumte sie auch nur vor sich hin.
    »Tante Victoria?«, sagte Tara so zaghaft, dass sie ihre eigene Stimme kaum hörte. Das Wort ›Tante‹ war kaum zu verstehen gewesen. Gerade wollte sie ihre Anrede wiederholen, als ihre Tante sich umwandte.
    »Bist du das, Nerida?«
    Tara fühlte einen schmerzhaften Stich. Victorias Stimme war dieselbe geblieben, doch es erschreckte sie zu sehen, wie sehr ihre Tante gealtert war. Tara hatte ausgerechnet, dass sie jetzt ungefähr Ende fünfzig sein musste, und war gänzlich unvorbereitet darauf, sie so zerbrechlich zu sehen. Victorias Haut war faltig und wettergegerbt, und sogar aus dieser Entfernung erkannte Tara, dass das Leuchten, das immer in ihrem Blick gestanden hatte, erloschen war. »Sie sind nicht Nerida.« Victoria wirkte durcheinander. »Wer sind Sie?«
    Tara fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Ihre Tante erkannte sie nicht! »Ich bin es, Tante Victoria«, stieß sie mit einem unterdrückten Schluchzen hervor.
    Victoria runzelte die Stirn. »Kommen Sie bitte näher«, sagte sie mit zitternder Stimme.
    Tara trat näher an sie heran, die Hände wie um etwas ringend ineinander verschränkt. Ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben. Seit Monaten hatte sie auf diesen Augenblick hin gelebt, ohne sich je Gedanken darüber zu machen, wie aufgeregt sie sein würde. Und nun erkannte ihre Tante sie nicht einmal! Sie war völlig niedergeschlagen, bemühte sich jedoch um eine tapfere Miene.
    »Ich bin es, Tara – du kannst mich doch nicht vergessen haben, Tante Victoria!« Obwohl sie dagegen ankämpfte, begann sie zu weinen, und sie fühlte sich, als habe man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Langsam stand Victoria auf und kam auf sie zu. Sie trug ein bunt bedrucktes, zerknittertes Baumwollkleid, das nicht mehr ganz sauber war, und ausgetretene Halbschuhe. Tara starrte darauf, als Victoria vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Durch einen Tränenschleier hindurch meinte sie zu bemerken, dass die Füße ihrer Tante an den Gelenken geschwollen waren. Die ersten Schritte waren sehr unsicher, doch dann wurde es besser.
    Victorias Haltung war immer noch stolz und aufrecht, wenigstens daran hatte sich nichts geändert. Tara ging ihr entgegen, und als sie ganz nah voreinander standen, legte Victoria ihr beide Hände auf die Schultern und sah sie genau an – ihre Haare, ihre Augen ... Ihre Miene hellte sich auf, und ein Strahlen erschien in ihrem Blick. Mit vor Rührung zitternder Unterlippe sagte sie leise, wie ungläubig: »Tara –

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