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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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sich das Kreischen mit dem leisen Quietschen des schwingenden Seils vermischt, an dem ein gesichtsloser, schwerer Körper hing. Sie schüttelte den Kopf und holte tief Luft, um die schrecklichen Bilder zu verscheuchen.
    Ungewöhnlich aufgewühlt blickte sie durch das leichte Moskitonetz hindurch auf den Balkon, über dem sie den Himmel sehen konnte. Er war vom leuchtendsten Rot, das sie jemals gesehen hatte, und es nahm ihr buchstäblich den Atem. Die Wolken sahen aus wie flaumige Feuerbälle. In ihrer Verwirrung hätte Tara nicht einmal sagen können, ob es die Morgen- oder die Abenddämmerung war, doch eines war ihr jetzt ganz klar: Irland und das Mountjoy-Gefängnis waren weit, weit fort.
    Wieder durchbrach das Kreischen die Stille, dieses Mal aus größerer Entfernung. Als Tara sich rührte, um aus dem Bett zu steigen, stellte sie fest, dass Hannah tief schlafend neben ihr lag, vollkommen entspannt, die Arme weit ausgebreitet, die weichen Locken feucht von Schweiß. Das Bett mit seinen riesigen Ausmaßen bot Platz genug für zwei, doch Tara konnte sich nicht daran erinnern, dass die Kleine schon dort gelegen hatte, als sie schlafen gegangen war.
    Draußen auf dem Rundbalkon stellte Tara fest, dass es dieweißen Kakadus in den Eukalyptusbäumen waren, die dieses ohrenbetäubende Kreischkonzert veranstalteten. Ihr Gewicht ließ die Zweige tanzen, doch die Blätter der Bäume wurden nur von einer ganz leichten Brise bewegt.
    »Sie werden dich an jedem Nachmittag und jeden Morgen vor Sonnenaufgang wecken«, sagte Victoria dicht hinter ihr.
    Tara stöhnte leise auf. »Warum um Himmels willen machen sie denn solch ein Geschrei?«
    »Im Moment streiten sie sich um einen Ruheplatz auf dem Ast. Warum sie morgens so schreien, weiß ich nicht – vielleicht ist das auch nur ihre Art, den Tag zu begrüßen –, und die Kleinen sind dann einfach hungrig. Jedenfalls brauchst du hier keinen Wecker.«
    »Ein Gewehr wäre sehr praktisch«, meinte Tara grimmig, doch dann lächelte sie, als sie Victorias erschrockenen Blick bemerkte. »Nur um sie fortzujagen, natürlich!«
    Jetzt lachte auch Victoria. »Tom hat immer genau dasselbe gesagt, aber seine Absichten waren sehr viel finsterer. Du wirst dich an sie gewöhnen – nach einer Weile nimmst du sie gar nicht mehr wahr. Aber vielleicht solltest du die Balkontür lieber zumachen, wenn du nachts nicht von den Opossums geweckt werden möchtest. Habe ich dir gesagt, dass sie Nachttiere sind?«
    »Ja, aber es ist zu heiß, um die Tür zu schließen, Tante Victoria. Ob heute Abend etwas mehr Wind sein wird?« Sie tupfte sich mit einem Taschentuch den Nacken ab und betete im Stillen um Regen.
    »An den meisten Abenden haben wir etwas Wind«, erwiderte die Ältere.
    »Ich würde ja nackt schlafen, aber Hannah scheint nicht in ihrem eigenen Bett bleiben zu wollen.«
    »Sie ist sicher daran gewöhnt, immer nah bei ihrer Mutter zu sein, das arme Kind. Gib ihr etwas Zeit!«
    Tara nahm Essensgeruch wahr und wusste sofort, dass es wieder ein Currygericht war. Dann fiel ihr ein, dass Sanja gesagthatte, sie würden abends die Reste bekommen, und sie war dankbar, nicht hungrig zu sein. Die Hitze hatte ihr jeden Appetit genommen, doch das wollte es ihrer Tante gegenüber auf keinen Fall zugeben.
    »Normalerweise essen wir ungefähr um sieben«, sagte Victoria jetzt. »Sanja hat seinen eigenen Zeitplan, aber du wirst den Gong hören. Ich gehe jetzt nach unten, Liebes. Kommt einfach nach, wenn ihr fertig seid.«
    Tara ließ Hannah schlafen und beschloss, einen kleinen Spaziergang über das Gelände zu machen, bevor sie zu ihrer Tante in den Salon ging. Der feurige Ball der Sonne war im Westen fast hinter dem Horizont verschwunden, und die Luft wurde angenehm kühl. Nach einer Weile fand Tara sich in der Nähe der Hundezwinger wieder. Die Hunde hatten das rohe Fleisch, das Tadd Sweeney ihnen vorgeworfen hatte, nicht angerührt. Es stank furchtbar und die Hunde hatten noch immer kein Wasser bekommen. In zwei anderen Zwingern gab es noch vier weitere Tiere, die Kelpies und die Border-Collies, die sie vorher bei ihrer Arbeit mit den Schafen gesehen hatte und die jetzt allem Anschein nach sehr müde waren.
    Entsetzt über den Zustand des Zwingers der Hündin und ihrer Jungen öffnete Tara die Tür und ließ die Tiere hinaus. Obwohl sich ihr der Magen dabei umdrehen wollte, rollte sie die Ärmel hoch und beseitigte den Unrat. Nachdem sie eine halbe Stunde mit einer Bürste und einem Eimer Wasser

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