Der Ruf des Abendvogels Roman
sherryfarbenen Braun waren. Seine Haut hatte einen etwas helleren Ton derselben Farbe.
»Sie nicht sehr viel gegessen, Missy Tara«, sagte er plötzlich, während er seine Hände an einem Küchentuch trocken wischte. »Sie noch müde von langer Reise?«
»Deshalb komme ich zu Ihnen, Sanja«, erwiderte sie und merkte nicht eben erfreut, dass sie ein wenig verlegen war. Sie schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln und hoffte, ihn so großzügig zu stimmen. »Ihre Currygerichte sehen so köstlich aus, aber wir haben nur noch niemals scharf gewürzte Speisen gegessen.«
»Ah, Curry ist sehr, sehr gut für Sie«, sagte er, ohne ihre Anspielung zu verstehen. »Aber Sie müssen mehr essen, um stark zu bleiben!«
Tara seufzte innerlich auf. »Nein, ich fürchte, das werden wir nicht. Wissen Sie, Sanja, wir können diese Dinge nicht essen.«
Verständnislos starrte der Koch sie an.
»Sie sind einfach zu scharf für uns«, erklärte Tara.
Einen Augenblick lang fuhr Sanja fort, sie anzustarren, dann rief er wütend: »Zu scharf?!«
»Ich fürchte, ja. Meinen Sie, wir könnten etwas weniger stark gewürztes Essen bekommen? Irish Stew werden Sie ja wahrscheinlich nicht kochen ...« Die Wörter waren ihr kaum entschlüpft, da stellte sie auch schon fest, dass Sanja ihren kleinen Scherz völlig missverstanden hatte. Er nahm eine Pfanne, die er gerade abgespült hatte, und ließ sie mit so viel Schwung auf den Spülstein krachen, dass Tara erschrocken zusammenzuckte. »Sanja Naidoo kocht kein ›Irish Stew‹«, sagte er mit einem funkelndem Blick.
»Das ist auch gut«, erwiderte Tara, die sich verzweifelt bemühte, ruhig zu bleiben. »Ich kann es selbst machen.«
Jetzt war er vollkommen entsetzt. »Missy will in Sanjas Küche kochen?«
Tara blickte sich um und stellte fest, dass die Küche im Gegensatz zum Rest des Hauses makellos sauber und aufgeräumt war. Sogar Sanjas Schürze war makellos. Tara war einen Augenblick lang versucht, ihn daran zu erinnern, dass es sich um das Haus und somit auch um die Küche ihrer Tante handeln würde, aber sie wollte an ihrem ersten Tag in Tambora keinen Streit anfangen. Außerdem befürchtete sie, letztlich den Kürzeren zu ziehen, wenn ihre Tante zwischen ihrer Anwesenheit und Sanjas ›Rinder-Vindaloo‹ zu wählen hätte. Sie hatte noch viel Zeit, ihm ihre Standpunkte zu erklären. »Wenn es Sie nicht stört?«, sagte sie deshalb höflich.
»Sanja stört es.« Er deutete zur Tür. »Sie kochen draußen, im Arbeiterhaus.«
Tara spürte, wie Wut in ihr aufzusteigen begann, doch sie beherrschte sich. »In Ordnung. Eine Küche ist so gut wie die andere.«
Er schüttelte den Kopf und nahmen ihr so jeden Zweifel daran, dass die Küche im Quartier der Scherer absolut nicht mit seiner zu vergleichen war. »Kinder essen Sanjas Gerichte«, erklärte er jetzt, wie um sie herauszufordern.
»Nein, Mr. Naidoo! Sie mögen sie nicht.«
»Sie essen«, beharrte Sanja und verschränkte beide Arme vor der Brust. Dann legte er den Kopf in den Nacken und streckte ihr seinen Zeigefinger entgegen. »Sie gute Köchin, Missy?«
Empört über sein Benehmen log Tara ihm ins Gesicht. »Natürlich!«
Wenn sie sich nicht irrte, klang sein Schnauben ziemlich höhnisch.
»Dann kochen Sie für Männer im Mustercamp?« Das war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Ich?«
Er lachte, als habe er ihr damit etwas bewiesen, um dann wieder die Arme über seiner Brust zu verschränken. Da es nun nichtmehr viel zu sagen gab, wandte Tara sich zum Gehen. Sie fragte sich, wo all die Köche geblieben waren, die servierten, was man ihnen verlangte, und versuchte sich vorzustellen, was ihre Mutter wohl unter diesen Umständen getan hätte. Zum ersten Mal empfand Tara Respekt für die selbstverständliche Autorität, mit der ihre Mutter das Personal gelenkt hatte, und wünschte sich insgeheim, sie hätte mehr auf sie geachtet.
An der Tür drehte Tara sich noch einmal um und bedachte Sanja mit einem Blick, der deutlich ausdrückte, dass sie sich bei ihrer Tante über seine Weigerung, ihr entgegenzukommen, beschweren würde. Er erwiderte ihren Blick selbstbewusst und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie nur ihre Zeit verschwendete.
14
E in lautes Kreischen weckte Tara unsanft aus unruhigem Schlaf. Schweißgebadet setzte sie sich auf, und ihr Herz pochte rasend vor Schreck. Einen Augenblick lang wusste sie nicht, wo sie war; sie hatte vom Mountjoy-Gefängnis und von den Galgen geträumt. Im Halbschlaf hatte
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