Der Ruf des Abendvogels Roman
nicht ...« Victoria hörte schwere Schritte. »Ah, da kommt er ja gerade!«
Tara wandte sich um und sah Tadd den Flur hinunterkommen. Unwillkürlich verkrampfte sie sich. »Wissen Sie, wo Jack ist?«, fragte sie kurz angebunden. Seit sie herausgefunden hatte, was der Verwalter hinter dem Rücken ihrer Tante alles getan hatte, fiel es ihr sehr schwer, ihm auch nur einigermaßen höflich zu begegnen.
Als er Jacks Namen hörte, verfinsterte sich Tadds Miene. »Er ist fortgeritten, nachdem ich ihn gescholten hatte.«
»Fortgeritten ... und Sie haben ihn nicht zurückgehalten?«
»Ich konnte ihn nicht aufhalten.«
»Warum haben Sie mir nichts gesagt? Er ist noch immer nicht zurück.«
»Er wird sich bald beruhigen und von allein nach Hause kommen.« Tadd wollte an ihr vorbeigehen, doch Tara war noch nicht bereit, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
»Was haben Sie denn zu ihm gesagt, dass ihn so aufgeregt hat?«
»Ich habe ihm gesagt, dass er die Welpen verdorben hat – und das stimmt auch. Sie gehorchen mir überhaupt nicht mehr.«
»Was für ein Unsinn!«
»Unsinn, ach ja? Sie hören nicht einmal, wenn ich sie rufe. Stattdessen folgen sie dem Jungen überallhin. Hunde können nur einen Herrn haben!«
Tara sah Tadd mit flammendem Blick an. »Hunde reagieren auf Freundlichkeit, Tadd – und niemand kann behaupten, dass Sie besonders freundlich mit Tieren umgehen. Ist es da ein Wunder, dass die Hunde lieber bei Jack sind?«
Tadds Wangen röteten sich vor Zorn. »Diese Hunde sind Arbeitstiere, nichts zum Kuscheln. Wenn ich ihnen ihren Willen ließe, wären sie bald völlig verdorben. Untrainiert bekommen wir keinen anständigen Preis für sie, und wir brauchen jeden Pfennig.«
Tara war so wütend, dass sie beinahe die Wahrheit laut herausgeschrien hätte: dass vor allem er die Schuld an der trostlosen Lage der Farm trug. Doch um ihrer Tante willen gelang es ihr mühsam, sich zu beherrschen.
Victoria trat zwischen sie. »Streiten hilft uns nicht weiter, wenn wir den Jungen finden wollen«, sagte sie. »Riordan hat mir gerade erzählt, dass er Jack in südwestliche Richtung hat davonreiten sehen. Wir sollten einen Suchtrupp zusammenstellen – aber jetzt, wo die Männer alle fort sind, bleiben nur wir.«
»Vielleicht ist er doch den Männern gefolgt«, meinte Tara. Ihr fiel auf, dass Tadd plötzlich sehr besorgt wirkte.
»Sie sind schon vor Sonnenaufgang fortgeritten«, erwiderte Victoria. »Er kann sie nicht einholen.«
»Mein Pferd ist schon gesattelt – ich werde sofort losreiten und ihn suchen«, sagte Tara.
»Aber Sie kennen sich doch überhaupt nicht aus«, meinte Tadd grimmig.
»Das stimmt, Tara«, gab Victoria ihm Recht. »Wir können nicht riskieren, dass du uns auch noch verloren gehst. Wenn nur Nugget oder Ethan hier wären – sie sind beide ausgezeichnete Spurensucher.«
Victoria bemerkte nicht, dass Tadd sich durch ihre Bemerkung gekränkt fühlte.
»Was, wenn Jack nun nicht zurückkommt, Tante Victoria?« Tara geriet langsam in Panik. »Wir würden ihn dort draußen niemals finden!« Als sie an die Hunderte von Meilen offenen Landes dachte, verließ sie ihr Mut, und sie fühlte sich unendlich niedergeschlagen.
»Ich rufe über Funk in Wombat Creek an«, erklärte Victoria. »Ethan ist seit gestern dort, um alles zu organisieren – er weiß sicher, was zu tun ist.«
»Und ich reite in die Richtung, die Riordan dir angegeben hat«, meinte Tadd. »Ich kenne dieses Land recht gut, und im Spurensuchen habe ich auch einige Erfahrung!«
»Es meldet sich keiner«, sagte Victoria, nachdem sie zum dritten Mal versucht hatte, Percy, Ferris oder Rex über Funk zu erreichen.
»Sie sind wahrscheinlich alle irgendwo draußen, wo sie das Funkgerät nicht hören«, meinte Tara verzweifelt. »Und was ist mit Lottie und den Mädchen? Sie müssten eigentlich zu Hause sein, und auch wenn sie vielleicht gerade schlafen ... könnte vielleicht eine von ihnen Ethan eine Nachricht überbringen.«
»Eine gute Idee!«, erwiderte Victoria.
Einen Augenblick später hörten sie Lotties freundliche Stimme ein wenig entstellt durch das Knacken im Äther.
»Ich habe dich doch hoffentlich nicht geweckt?«, fragte Victoria.
»Nein, die Mädchen werden zwar sicher noch lange schlafen – sie hatten gestern Abend viel zu tun –, aber ich werde beim leisesten Geräusch wach, und heute haben wir hier reichlich Lärm!«
Victoria erklärte die Situation, und Lottie sagte, sie könne Ethan von ihrem vorderen Fenster
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