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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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oder nicht.« Normalerweise hielt sich Riordan für einen einigermaßen offenen und mitfühlenden Menschen. Jetzt musste er jedoch feststellen, dass diese beiden Eigenschaften ihn im Stich ließen, wenn es um Tara ging. Er überlegte, ob sich das je ändern würde – aber zu seiner großen Erleichterung war es wohl eher unwahrscheinlich, dass er ihr jemals wieder begegnen würde.
    Kelvin dachte, dass er lieber verdammt sein wolle, als sein Mitgefühl an jemanden zu verschwenden, der als Zigeuner gelebt hatte. Seiner Meinung nach waren sie nichts als Wilde. Hatte Riordan etwa schon vergessen, dass er von ihnen beinahe umgebracht worden war? Er hätte seine Gedanken gern ausgesprochen, hielt sich jedoch zurück, denn schließlich wollte er seine Stelle in der Galerie nicht verlieren.
    »Victoria Millburn bat mich, ihre Nichte zu suchen, und schickte mir das Bild, damit ich sie erkennen konnte.« Riordan war unfähig, weiterzusprechen. Obwohl er Taras Tugend verteidigt hatte, empfand er bei dem Gedanken an ihr Handeln noch immer schmerzhafte Enttäuschung. Wenn er ehrlich war, musste er allerdings zugeben, dass es seine eigene Schuld war. Er hatte aus der Frau auf dem Bild eine Traumfigur gemacht, die daraufwartete, von ihm errettet zu werden. Doch diese Traumfrau hatte nur in seinem Kopf existiert, und nun hatte er sie losgelassen. Plötzlich konnte es ihm gar nicht schnell genug damit gehen, alle Gedanken an die Zigeunerin aus seinem Kopf zu verbannen, wozu er bisher nicht fähig gewesen war. Das Bild an Victoria zurückzuschicken würde der erste Schritt dazu sein.
    »Würden Sie mich jetzt bitte allein lassen, Kelvin?«, bat er leise.
    Als Tara ins Lager zurückkehrte, fand sie ihre Sachen durchwühlt und überall am Ufer des Liffey verstreut. Ihr Wohnwagen war fort, ebenso wie die Zigeuner. Ganz offensichtlich war Jake nicht bereit, auf sein Geld zu warten, und die Zigeuner wollten sie nicht länger unterstützen. Sie waren nicht ihre Familie und würden es niemals sein. Obwohl sie immer gewusst hatte, wie die anderen zu ihr standen, schmerzte sie ihre Ablehnung doch sehr.
    Bei Einbruch der Dämmerung hatte Tara den Beschluss gefasst, sich für diese Nacht ein warmes Bett in einem einfachen Gasthof zu leisten und so ihre üble Lage zumindest für ein paar Stunden zu vergessen. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie gehen oder was sie nun tun sollte, und niemanden, mit dem sie darüber sprechen und der ihr raten konnte. In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nicht so allein gefühlt.
    Trotz des bequemen Bettes fand sie fast die ganze Nacht keinen Schlaf. Sie dachte an ihre Tante und das Porträt, das sie in der Galerie entdeckt hatte. Der Schwur ihrer Tante, das Bild niemals aus der Hand zu geben, war ihr noch lebhaft im Gedächtnis. Es musste also einen sehr guten Grund gegeben haben, warum sie sich schließlich doch davon getrennt hatte. Die beiden Frauen waren sich in Taras Jugend sehr nahe gewesen, und nun konnte diese nicht einfach ihr Leben weiterleben, ohne herauszufinden, was aus der Älteren geworden war.
    Riordan saß über einigen Papieren, als er in der Galerie ärgerliche Stimmen vernahm.
    »Ich verlange zu wissen, wie Sie an diesen Schleier gekommen sind! Wo ist der Besitzer?«
    »Bitte, gehen Sie, bevor ich einen Polizisten rufe und Sie hinauswerfen lasse!«
    Riordan war gerade aufgesprungen, als seine Bürotür aufgestoßen wurde und Tara erschien, gekleidet als Lady Bowers. Sein Herz drohte auszusetzen, als er sie sah. Gleich hinter ihr erschien ein verlegener Kelvin Kendrick.
    »Es tut mir Leid, Sir – ich konnte sie nicht aufhalten. Ich werde einen Constable rufen.«
    So überrascht Tara war, Riordan zu sehen, hörte sie doch die Verachtung, die in Kelvins Ton mitschwang, und ihre Nackenhaare sträubten sich.
    Riordan ließ sich wieder in seinen Sessel fallen. »Nein, Kelvin – ich werde mit Miss Killain sprechen!« Er barg das Gesicht für einen Augenblick in den Händen, um Kraft zu sammeln.
    Mit einem letzten, wütenden Blick auf Tara verließ Kelvin das Büro.
    Tara starrte Riordan aus großen Augen an. Er stellte fest, dass sie den Schleier in der Hand hielt, den sie am Abend zuvor weggeworfen hatte.
    »Was haben Sie in diesem Büro zu suchen?«, fragte sie und schlug dann eine Hand vor den Mund, als ihr die Erkenntnis dämmerte. »Sie sind doch wohl nicht der Galeriebesitzer?« Tödlich verlegen dachte sie daran, wie hochnäsig sie sich am Tag zuvor ihm gegenüber benommen hatte. Warum

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