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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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war in den meisten Fällen die Todesursache auf schreckliche Weise deutlich sichtbar. Mitglieder der Besatzung der Emerald Star kümmerten sich um trauernde Verwandte und Freunde, und Tara musste trotz ihres Kummers anerkennen, wie wunderbar die Mannschaft sich verhalten hatte. Auch diese Menschen hatten viele Kollegen verloren, und trotzdem waren sie hilfsbereit und freundlich. Besondere Dankbarkeit empfand Tara für James O’Brien, der am Tag zuvor in der Ankunftshalle so nett zu ihr gewesen war, obwohl seine verbrannte Hand ihm schlimme Schmerzen verursacht haben musste.
    Schließlich fand Tara Maureen und Michael, die nebeneinander lagen. So sehr der Anblick ihrer toten Freunde sie auch aufwühlte, war sie doch erleichtert, nun nicht mehr weitersuchen zu müssen. Sie konnte den Anblick der Leichen nicht länger ertragen, denn in einigen erkannte sie auch Menschen, denen sie auf dem Schiff die Karten gelegt hatte. Besonders furchtbar war es, die Kinder hier liegen zu sehen.
    Verglichen mit den letzten schrecklichen Stunden auf dem Schiff wirkten Maureen und Michael seltsam friedlich, und zum Glück waren sie nicht lange im Wasser gewesen. »Gott sei Dank sind sie nicht verbrannt!«, flüsterte Tara, die plötzlich erkannte, dass das ihre größte Angst gewesen war.
    »Man hat sie ineinander verschlungen gefunden.« Tara fuhr erschrocken zusammen und wandte sich um, doch es war nur James O’Brien, der mit respektvoller Trauer auf die Toten blickte. »So haben sie es sich bestimmt gewünscht!«
    Tara fand plötzlich, dass die beiden zusammen beerdigtwerden sollten. Es gehörte sich einfach so, und sie schämte sich auf einmal für das, was sie im Begriff gewesen war zu tun. Wie konnte sie sich für Maureen ausgeben und die Freundin um die ewige Ruhe an der Seite ihres Mannes bringen, den diese so sehr geliebt hatte?
    Während sie Maureens reglosen Körper betrachtete, dachte sie daran, was für eine gute Freundin und wunderbare Mutter diese gewesen war. Es war eine doppelte Tragödie, dass ihre Kinder in einem Waisenhaus landen sollten, vielleicht sogar voneinander getrennt werden würden. Maureen wäre diese Vorstellung sicher unerträglich gewesen – wie jeder Mutter. Nein, Maureen hätte gewollt, dass die Kinder bei jemandem blieben, der sie wirklich gern hatte, bei jemandem, der ihnen gemeinsam ein Zuhause bot. Dass Tara selber noch kein Zuhause hatte, erschien ihr momentan wie ein eher unwichtiges Detail.
    Tara blickte auf Michael hinab und rief sich ins Gedächtnis, wie er sie in den Momenten kurz vor der endgültigen Trennung angesehen hatte. Er hatte gewollt, dass sie sich um Jack und Hannah kümmerte. Wenn sie ihr stummes Versprechen halten wollte, musste sie bei dem bleiben, was sie beschlossen hatte – einen anderen Weg gab es nicht. Ein Rechtsstreit konnte Jahre dauern, und gegen einen Verwandten hatte sie wenig Aussichten zu gewinnen. Wenn sie das australische Gesetz jedoch umgehen wollte, musste sie James in ihren Plan einweihen. Er war damit beschäftigt, schon identifizierte Tote in eine Liste einzutragen. Sie wusste nicht, ob er ihr helfen würde oder nicht, doch es gab nur einen Weg, um das herauszufinden.
    Als sie zu Sorrel und den Kindern zurückkehrte, war Tara kreidebleich. »Wir können gehen«, erklärte sie und umarmte erst Jack und dann Hannah, die gerade aufgewacht war. Sorrel wirkte erleichtert. James hatte sich nicht leicht überreden lassen, schließlich aber doch zugestimmt. Anscheinend hatte er sechs Jahre im Havilah-Waisenhaus in Sydney verbracht, wo er keinerleiBildung erhalten hatte, von morgens bis abends Toiletten geschrubbt und sein erstes Paar Schuhe im Alter von dreizehn Jahren bekommen hatte.
    Sobald er alt genug gewesen war, war er fortgegangen, um zur See zu fahren. Er liebte Kinder und wusste, dass Tara sich liebevoll um die beiden O’Sullivan-Waisen kümmern würde, was ihm sehr viel besser schien als das Waisenhaus. Außerdem hatte er gesehen, wie nah sich Maureen und Tara gewesen waren. Also willigte er ein, ihnen zu helfen, und Tara versprach ihm, sich so oft wie möglich zu melden und ihn wissen zu lassen, wie es den Kindern ging. Sie hatte insgeheim den Verdacht, dass es ihm auch darum ging, auf diese Weise mit ihr in Kontakt zu bleiben, aber das störte sie nicht.
    »Die meisten Leute hier werden erst einmal in Gästehäusern der Heilsarmee untergebracht, aber ich würde gern so schnell wie möglich abreisen«, meinte sie, an Sorrel gewandt.
    »Mir geht es

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