Der Ruf des Abendvogels Roman
redete ununterbrochen, während Ella, seine Frau, die beiden Kundinnen bediente und ihnen beim Auswählen eine große Hilfe war.
Sorrel hatte schnell ein beiges Tageskleid gefunden, in dem sie sehr distinguiert aussah und das genau ihrem konservativen Geschmack entsprach. Tara gefielen eher die kräftigen Farben wie lebhafte Rottöne und leuchtendes Blau, doch sie merkte, wie Sorrel zurückschrak, als sie ein solch buntes Kleid vom Ständernahm. Wenn es Sorrel nicht gefiel, würde es vermutlich auch ihrer Tante nicht gefallen, und sie wollte bei ihrer Ankunft in Tambora gern geschmackvoll gekleidet sein. Schließlich kaufte sie ein hübsches Kostüm in Blassblau und Weiß, das Sorrel sehr schön fand, ein hübsches, hellgelbes Mädchenkleid für Hannah und zwei neue Hemden für Jack.
Als sie fertig waren, schlug Sorrel vor, einen Ort zum Umziehen zu suchen, um die, wie sie sich ausdrückte, gotthässlichen Sachen loszuwerden, die sie trugen.
»Ich muss baden und irgendetwas mit meinen Haaren machen«, fügte sie hinzu. Keiner von ihnen verspürte das Bedürfnis, ins Zollamt zurückzukehren.
Tara machte sich Sorgen um Sorrel, deren Gesicht in der Hitze ungefähr dieselbe tiefrosa Farbe angenommen hatte wie die Blumen auf ihrem Kleid. Die beiden Frauen mieteten für ein paar Stunden ein Zimmer in einem Hotel. Die Kinder schliefen bald wieder ein, während Tara und Sorrel sich wuschen und umzogen. Kurz darauf fühlten sie sich wieder gesellschaftsfähig. Tara fiel auf, dass Sorrel ihre neue Unterwäsche und sogar Seidenstrümpfe trug. Tara selbst hätte bei dieser Hitze weder Strümpfe noch Unterröcke tragen können. Ihr war aufgefallen, dass viele Frauen auf der Straße es ebenso wenig taten – es war einfach zu heiß. Wie Sorrel damit zurechtkommen würde, wusste die Jüngere nicht – doch mit der Freundin war, seit sie sich umgezogen hatte, eine erstaunliche Veränderung vor sich gegangen. Mit stolz erhobenem Kopf und in sehr gerader Haltung posierte sie vor dem in die Tür des Kleiderschranks eingelassenen Spiegel. Ihre Haare waren zu einem ordentlichen Knoten gebunden, und sie wirkte fast wie ein neuer Mensch.
Auch Tara hatte ihre Haare hochgesteckt. Im Moment trug man zwar eher Kurzhaarfrisuren, doch sie konnte sich nicht dazu durchringen, ihre rote Lockenpracht abschneiden zu lassen.
»Fühlen Sie sich besser?«, fragte sie die alte Dame lächelnd.
»Unendlich! Und Sie?«
Tara runzelte die Stirn. »Um ehrlich zu sein ... ich mache mir Sorgen. Wir sollten Adelaide so schnell wie möglich verlassen.«
Sorrel verstand, dass Tara fort sein wollte, bevor wohlmöglich die Wahrheit über ihre Identität ans Licht kam.
»Wir können aber nicht fort, bevor nicht die ...«, Sorrel verstummte und warf einen Blick zu den Kindern hinüber, die aufgewacht waren und nun von einem der Balkone des Hotels auf die Stadt hinunterblickten, »Opfer beerdigt sind.«
Tara seufzte. »Ich glaube nicht, dass ich es ertragen würde, dabei zu sein«, sagte sie. »Und für die Kinder wäre es auch nicht gut.«
Sorrel war jedoch skeptisch. »Aber wie wollen Sie es vermeiden, teilzunehmen?«
»Es werden so viele am selben Tag beerdigt, dass man unser Fehlen vielleicht gar nicht bemerken würde!«
»Das wäre eine Möglichkeit«, gab die Ältere zu. »bestimmt wäre es für die Kinder nicht gut, aber ich bin nicht sicher, ob es klug wäre, Verdacht zu erregen, indem man einfach wegbleibt. Die Behörden glauben immerhin, dass Michael Ihr Mann gewesen ist – wie würde es da aussehen, wenn Sie nicht an seinem Begräbnis teilnehmen?«
»Nicht sehr gut«, gestand Tara ein. »Aber es wäre mehr, als ich ertragen könnte, wenn ich zusehen müsste, wie Maureen an meiner Stelle beerdigt wird. Sie war eine der besten Freundinnen, die ich je hatte, und außerdem befürchte ich, dass Hannah vor allen dort nach ihrer Mutter weinen wird.« Sie wandte sich ab, plötzlich überwältigt von der Verantwortung, die sie auf sich genommen hatte. »Oh, Sorrel! Habe ich wirklich das Richtige getan? Ich habe überhaupt keine Erfahrung als Mutter, kein festes Einkommen. Ich weiß nicht einmal, ob meine Tante noch auf der Farm ist. Was, wenn sie nicht mehr dort wohnt? Und wenn nun die Kinder sich weigern, bei mir zu bleiben – was mache ich dann? Ich kann sie nicht einfach bei den Behörden abliefern und zugeben, dass ich gelogen habe – das könnte ich den Kindern nichtantun. Falls sie dann irgendwann adoptiert werden, würde man sie vielleicht
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