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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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er wirklich denkt. Es sieht so aus, als ob Sie jetzt Ihre erste wichtige Entscheidung als Vormund der Kinder treffen müssten.«
    Tara fühlte das ganze Gewicht der Verantwortung, das auf ihren Schultern lastete. Auch sie blickte zu Jack hinüber. Er stand ein Stück entfernt und starrte verloren vor sich hin. Obwohl er immer in Hannahs Nähe war, hatte er bisher kaum ein Wort zu ihr gesagt.
    Tara wollte das tun, was für Jack am besten war – wenn sie nur gewusst hätte, was es war! Sie wandte sich wieder an Sorrel. »Würden Sie mit Hannah zur Toilette gehen, während ich Jack mit mir nehme?«
    »Natürlich«, gab die Freundin zurück.
    »Wenn er wirklich am Begräbnis seiner Eltern teilnehmen möchte, darf ich es ihm nicht abschlagen – auch wenn ich dadurch in Schwierigkeiten geraten könnte.«
    Sorrel sagte nichts, doch ihre besorgte Miene sprach für sich.
    Später bat Tara Jack, sich mit ihr auf die Bank im Warteraum zu setzen, und erklärte ihm so behutsam wie möglich die Situation. Einen Augenblick lang blieb der Junge stumm. Tara wartete still, bis er in Ruhe über alles nachgedacht hatte. In den vergangenen Tagen hatte er für seine zehn Jahre viel zu viel erlebt und warentsprechend durcheinander. Doch Tara wollte ihm zeigen, dass seine Gefühle und seine Meinung ihr sehr wichtig waren.
    »Wir werden tun, was du entscheidest, Jack«, sagte sie leise.
    »Ich sollte zu Mamas und Papas Beerdigung gehen«, stieß er halb schluchzend hervor. Tara nickte beklommen, und eine Weile schwiegen sie beide. »Mama und Papa wollten, dass wir in Sicherheit sind«, meinte Jack schließlich. »Wenn wir dafür morgen mit dem Zug fahren müssen, sollten wir das tun.«
    Tara legte ihm einen Arm um die schmalen Schultern. »Ich bin einverstanden – aber nur, wenn du es wirklich willst. Bist du dir ganz sicher?«
    Er senkte den Kopf und sprach ruhig weiter, doch das leichte Zittern seiner Stimme verriet Tara, dass er mit den Tränen kämpfte. »Ja, aber ich möchte gern eines Tages zurückkommen und Mamas und Papas ... Gräber sehen. Vielleicht wenn Hannah auch älter ist und alles besser verstehen kann.«
    »Natürlich!« Tara nahm sich fest vor, irgendwann Maureens richtigen Namen auf ihren Grabstein schreiben zu lassen. Sie wusste noch nicht, wie sie das anstellen würde, doch irgendwie würde es ihr sicher gelingen. Der Junge blickte auf, sah sie direkt an, und in seinem Blick stand tiefe Besorgnis. »Versprichst du mir, dass wir nie zu Tante Moyna müssen? Für mich wäre es noch nicht mal so schlimm, aber für Hannah ganz schrecklich. Tante Moyna ist so gemein zu ihren Mädchen – ich glaube nicht, dass sie sie auch nur ein kleines bisschen lieb gehabt hat!«
    Tara schluckte schwer an dem Kloß in ihrer Kehle. »Eure Mutter hat mir alles über Tante Moyna erzählt, und ich verspreche dir, ich lasse nicht zu, dass du oder Hannah zu ihr musst. Ich weiß noch nicht, was auf uns zukommt, aber ich werde versuchen, die Zukunft für dich und Hannah schön zu machen. Ich verstehe, dass es euch nach dem, was passiert ist, schwer fällt, jemandem zu vertrauen oder an etwas zu glauben. Aber ich werde für dich und deine Schwester mein Bestes tun. Weißt du, ich wollte immer eigene Kinder haben, aber ...« Ihre Stimme schwankte, und sieräusperte sich. »Ich glaube, Gott hatte andere Pläne mit mir. Er wollte, dass ich mich um dich und Hannah kümmere.«
    Jack runzelte die Stirn. »Warum hat Gott uns unsere Eltern überhaupt weggenommen?«
    Ratlos schwieg Tara einen Moment, bevor sie zugab: »Das weiß ich leider nicht, Jack.« Wie hätte sie es auch erklären sollen? Michael und Maureen waren wirklich gute Menschen gewesen; warum hatten sie sterben müssen? Und mit ihnen all die anderen, besonders die Kinder ... dafür gab es keine Erklärungen.
    Jack forschte in ihren grünen Augen nach einer Antwort, bevor er den Blick wieder senkte. Tara fühlte seine Enttäuschung darüber, dass auch sie keinen Grund wusste, und in ihren Augen brannten Tränen. Er hatte sein Vertrauen in die Welt verloren, und sie verstand ihn nur zu gut. Auf dem Schiff war er so ein glücklicher Junge gewesen, immer zu einem Spaß aufgelegt und voller Leben. Tara bezweifelte, dass er jemals wieder so sein würde wie vorher – wie sollte er auch?
    »In unserem Leben geschehen manchmal schlimme Dinge, die uns sehr weh tun, und es gibt dafür einfach keine Erklärung«, sagte sie. »Aber wenn dich das trösten kann, Jack, irgendwann passiert das bei jedem.«

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