Der Ruf des Abendvogels Roman
obwohl er im Gefängnis gesessen hatte und ein Dieb war, hatte er doch auch Charme besessen. Er hatte ehrlich daran geglaubt, dass das, was er den Landbesitzern nahm, allen gehörte. »Wenn ein Fasan doch fliegen kann, wie kann er dann einem Einzelnen gehören?«, hatte er immer gesagt, wenn er mit einer Beute für ihre Abendessen zurückgekehrt war.
Im Vergleich dazu schien ihr Ethan wie ein ungeschliffener Diamant. Er gehörte in die Wüste.
»Tatsächlich? Ich meine, hat Maddy das gesagt?«
»Ja. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie sehr eng befreundet sind. Jedenfalls scheint sie Sie sehr zu schätzen.« Tara genoss diesen Auftritt sehr und weidete sich an der Verlegenheit der Männer. Wenn sie nicht irrte, war Ethan rot geworden. Sie versuchte, ihr Grinsen zu verbergen, und wandte sich wieder zum Gehen.
»Waren die Frauen ... ich meine, waren sie allein?«, wollte Ferris wissen.
Tara blieb stehen und drehte sich halb um. »Das ist eine seltsame Frage. Es ist doch niemand da, der sie besuchen könnte, außer Ihnen dreien. Und Sie sind alle hier in der Bar. Wen haben Sie denn dort vermutet?«
Ferris senkte den Kopf und tat, als reibe er die Theke sauber. »Ich habe kürzlich dort draußen Schüsse gehört, und da dachte ich ...«, murmelte er und verstummte dann.
»Schüsse? Das muss Charlotte gewesen sein, die Schlangen geschossen hat. Aber wenn Sie deswegen beunruhigt waren, warum sind Sie dann nicht hingegangen, um nach dem Rechten zu sehen?«
»Seine Frau ist eine von der eifersüchtigen Sorte«, meinte Percy schadenfroh, und Ferris versetzte ihm einen kräftigen Rippenstoß.
»Und Sie, Percy? Gibt es eine Mrs. Everett?«, fragte Tara zuckersüß.
»Nein!«, gab der Ladenbesitzer unwirsch zurück.
»Fühlen Sie sich nicht ab und zu einsam?«
Die Rollen waren jetzt vertauscht, und nun war es an Ferris, schadenfroh zu grinsen.
»Nicht so einsam«, erwiderte Percy ärgerlich.
Tara spürte, wie ihre Wut neu aufloderte. »Dann besuchen Sie die Frauen also nie?«
»Nein!« Percy starrte sie an, die Lippen fest aufeinander gepresst, der Blick seiner grauen Augen war hart und herausfordernd. Und doch merkte man ihm die Furcht an, die Wahrheit könne ans Licht kommen.
Tara beschloss, ihm die Uhr später zu geben, denn es war offensichtlich, dass die anderen Männer von seinem Besuch bei Belle nichts ahnten. Ihr war nicht ganz klar, ob er sich schämte, weil er einsam war, oder ob es ihn verlegen machte, mit den Frauen in Verbindung gebracht zu werden.
Tara beachtete Percy nicht weiter, sondern fuhr damit fort, die Männer aufzuziehen. »Wombat Creek scheint einer der einsamsten Orte der Welt zu sein. Warum veranstalten Sie nicht alle einmal ein gemeinsames Essen, oder einen Tanzabend? Ich begreife nicht, warum die Frauen sich hier niedergelassen haben. Es gibt hier ja wirklich keinerlei Zerstreuung. Aber für Sie, Percy, und Sie, Ferris, sind doch wenige Einwohner besser als gar keine, nicht wahr?«
Ferris und Percy tauschten noch einen verwunderten Blick. Ethan beobachtete Tara genau und versuchte herauszufinden, was sie beabsichtigte. Tara hatte beschlossen, allen etwas zum Nachdenken zu geben. »Ich habe die Frauen übrigens nach Tambora zum Tee eingeladen und freue mich schon sehr darauf«, sagte sie angelegentlich.
Um Ethans schön geformten Mund spielte ein kleines Lächeln, doch Ferris und Percy sahen sich konsterniert an.
»Das können Sie nicht tun«, meinte Percy.
»Ich habe es aber getan«, erwiderte Tara sehr zufrieden.
Ethan hatte seine gebräunten, muskulösen Arme ineinander verschränkt und beobachtete sie amüsiert. Jetzt wusste er, was sie wollte. Doch ihn interessierte immer mehr, was sie wirklich über Lottie, Maddy und Belle dachte. Wie es schien, mochte sie Lottie genug, um sie oder ihr Recht auf eine faire Behandlung zu verteidigen, und das freute ihn ebenso, wie es ihn überraschte.
»Ihre Tante wird über den Besuch von Lottie und ihren Mädchen nicht gerade begeistert sein«, meinte Ferris.
»Ich kenne meine Tante gut, Mr. Dunmore«, gab Tara ruhig zurück, »und ich bitte Sie, Ihnen widersprechen zu dürfen. Aber vielleicht möchten Sie mir sagen, aus welchem Grund Sie glauben, dass sie nicht begeistert sein wird?«
»Sie sind ... ich meine ... sie sollten nicht mit anständigen Frauen zusammen sein.«
Ausgerechnet sie maßen sich ein solches Urteil an, dachte Tara, und ihr Zorn kehrte zurück. Doch sie verbarg ihre Gefühle und fragte: »Warum denn nicht? Ich
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