Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)

geworfen.« Mir war klar, dass er jetzt in Gedanken all die Erinnerungen durchging.
    »Klar, mich doch auch.«
    »Nein, das verstehst du …« Nun wirkte er frustriert und fing nochmal neu an. »Es ist wirklich nicht cool, das zuzugeben. Aber auf eine merkwürdige Art und Weise hatte ich den Eindruck, dass unsere Zeit im Lexington mich irgendwie geschwächt hat. Als wir dann ins normale Leben zurückgekehrt sind, war das einfach ein Looping zu viel für mich. Und ich hatte das Gefühl, dass ich dich brauche, damit du mir Halt gibst. Aber ich habe dich einfach zu sehr gebraucht. Und das ist absolut nicht normal, so habe ich mich vorher noch nie gefühlt. Die ganze Sache war einfach zu viel für mich … du bist mir zu viel geworden. Und dann sind wir hierhergekommen, und …«
    »Ich war dir zu viel?« Das verstand ich nicht.
    »Ich hatte eben den Eindruck, dass du mit den veränderten Umständen viel besser klarkamst als ich, mit dieser neuen Existenz als Engel. Als wäre das etwas, das jetzt erledigt werden muss, und deshalb würdest du einfach die Ärmel hochkrempeln und es anpacken. Nach allem, was passiert war, dem Feuer und der Schlacht und dem Ganzen, hab ich’s ja am Anfang morgens kaum aus dem Bett geschafft, und als es mir dann endlich wieder besser ging, hatte ich das Gefühl, dass ich das gar nicht selbst durchgestanden habe; es kam mir fast wie eine fremde Erinnerung vor. Ich konnte den Gedanken einfach nicht ertragen, je wieder etwas mit alldem zu tun zu haben.«
    »Na, willkommen im Club. Ich meine, soll das ein Witz sein? Sich daran zu gewöhnen ist nun wirklich kein Kinderspiel. Ich bin deshalb auch völlig durch den Wind. Warum hast du denn nie etwas gesagt?«
    »Na ja, das sind nicht gerade die geeigneten Sprüche, um seine Freundin zu beeindrucken.« Er verdrehte die Augen.
    »Tja, aber dann hättest du herausgefunden, dass ich auch das Gefühl hatte – und immer noch habe –, mein Leben so gar nicht unter Kontrolle zu haben. Falls dir das ein Trost ist.« Es fühlte sich gut an, endlich auszusprechen und zu akzeptieren, dass es mir so ging.
    »Ja, vermutlich.« Er lächelte. »Und deshalb sage ich nur, dass es eben mal was ganz anderes war, Zeit mit Sabine zu verbringen. Aber natürlich gibt es kein Entkommen, das ist mir jetzt klar. Und als du markierst wurdest …« Er verstummte einen Moment. »Da ist mir … so einiges klar geworden.«
    Ich ließ das erst einmal sacken, ich wollte seinen tiefgehenden Worten genug Luft zum Atmen lassen und nicht zu früh den Mund aufmachen. Wer weiß, wie lange wir hier schon in Gedanken versunken zwischen den Orchideen standen. Jetzt wandte sich Lance zu mir um und lächelte mich schüchtern an.
    »Also, ich habe dir mein Herz ausgeschüttet, dafür erwarte ich etwas im Gegenzug.« Er wiederholte beinahe wörtlich meinen Satz von zuvor, und ich zog ihn an mich heran, meine Lippen fanden die seinen, er schlang mir die Arme um die Taille und hielt mich ganz fest.
    Als wir nach Hause zurückkehrten, fand ich Dante in Max’ Zimmer. Ich holte all die kleinen Plastikbeutel hervor, reichte ihm Pflanzenteile jeder Form und Größe und diktierte ihm den Namen, während wir alles durchgingen. Als wir das Tränende Herz erreichten, lächelte er und warf mir einen schelmischen Blick zu, den ich nur zu gut kannte.
    »Oh, das brauche ich jetzt gar nicht mehr«, erklärte er feixend.

33
    Gegrüßet seist du, Königin Haven
    N ach unserer Flucht aus der Krypta hatte ich Lucian einen Zettel hinterlegt, um mich bei ihm zu bedanken und ihn zu fragen, was ich am Tag der Metamorphose tun sollte. Danach schaute ich jeden Tag nach, ob eine Antwort auf mich wartete, fand aber immer nur ein dunkles Fenster vor. Ich wurde die Sorge nicht los, dass er womöglich geschnappt worden war, als er uns geholfen hatte, und nun für immer fort war. Als wir uns am Sonntag auf den Weg zum Lagerhaus machten, um dem Umzugswagen den letzten Schliff zu geben, entdeckte ich endlich die brennende Kerze und eine Nachricht in einer seiner typischen Flaschen:
    H,
    ich bin einfach nur froh, dass ich da war, um euch beiden zu helfen. Noch einmal danke für das, was du für mich tun wirst. Ich kann dir gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet. Am Tag der Metamorphose sehen wir uns morgens am üblichen Treffpunkt. Bis dahin kann ich dir schon mal sagen, dass du an dem Abend Clio folgen musst. Sie wird dich zu deinem Gegner führen. Genauso sollte sich Lance an Wylie halten. Ich wünschte, ich könnte