Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
himmelhohen Stöckelschuhen mit Riemen, die sich gekreuzt bis fast zu den Knien um ihr Bein wanden. Um den Hals trug sie eine flauschige weiße Federboa, und sie hielt eine Wunderkerze hoch. Die knisterte in der Luft und spie Funken, die wie kleine Glühwürmchen aussahen. Obwohl sich auf den Straßen die Menschen so eng drängten, dass man nur schwer vorankam, hatte diese Truppe überhaupt keine Schwierigkeiten, ihrer Anführerin zu folgen, auf die sich in der Bourbon Street nun alle Augen richteten. Ihre fröhliche Bande von Co-Provokateuren, die ebenfalls brennende Wunderkerzen trugen, bestand aus stattlichen Frauen im kurzen, paillettenbesetzten Kleid und schlanken, sportlichen Männern mit schwarzen Hosen und teilweise aufgeknöpften Hemden, dessen Ärmel sie hochgekrempelt hatten.
Wir konnten den Blick kaum von ihnen abwenden und sahen ihnen schweigend ein paar Minuten zu, während wir von allen Seiten gestoßen und geschubst wurden. Um diese Zeit ging es in der betrunkenen Menge auf der Bourbon Street ganz schön rau zu, ich fand es dennoch tröstlich, mich im Gedränge verlieren zu können. Als kleines Steinchen in diesem riesigen menschlichen Mosaik fühlte ich mich sicherer, als ich je gedacht hätte. Ich fürchtete mich beinahe vor dem Gedanken, bald ins Wohnheim zurückkehren zu müssen, wo ich mich in diesen furchtbaren Minuten der Dunkelheit vor dem Einschlafen ganz allein meinen Gedanken stellen musste – falls ich überhaupt das Glück hatte einzuschlafen.
Die über die Straße marschierende Gruppe warf mit Perlenschnüren um sich, wir waren aber viel zu verzaubert, um die notwendige Augen-Hand-Koordination aufzubringen und danach zu greifen. Also ließen wir die Ketten einfach zu Boden fallen und beobachteten die Prozession weiter. Die mit dem Kurzhaarschnitt wirbelte ihre Wunderkerze wie einen Taktstock herum und schaffte es dabei irgendwie, dass weder sie selbst noch die Menschen um sie herum Funken abbekamen. Sie sah aus, als führe sie eine Marschkapelle an. Schließlich versetzte sie der Wunderkerze einen Stoß und warf sie in die Luft, so hoch, als würde sie den Mond küssen. Dann blieb die Frau direkt vor mir stehen, sah mir in die Augen und sagte mit einem breiten, wilden Grinsen: »Bumm!«
Eine Sekunde später explodierte die Wunderkerze mit einem ebensolchen Knall. Sie verwandelte sich in ein Kaleidoskop glänzender Farben und brannte dann funkelnd aus, wie Regen im Licht einer Lampe. Ich spürte, dass mir die Kinnlade herunterklappte. Als mein Blick zur Straße zurückkehrte, war die Frau längst weitermarschiert und bahnte sich ihren Weg über die Bourbon Street. Sie griff nach der Wunderkerze des Mannes neben ihr und warf auch diese in die Luft. Hoch, hoch, immer höher, bis sie genauso sprühend erblühte wie die davor.
»Wow!«, staunte Lance und schob sich die Brille höher auf die Nase.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass so was bei uns zu Hause illegal ist«, meinte ich.
Dante grinste. »Wir sind definitiv nicht mehr in Evanston.«
»Sie ist einfach wunderschön«, flüsterte Sabine wehmütig. »Um so was tragen zu können, muss man wirklich perfekt aussehen, meinst du nicht auch?« Sie warf ihre schimmernden Locken nach hinten und zog eine Grimasse. »Ich würde dafür sterben, mit einem Kurzhaarschnitt so toll auszusehen, aber da habe ich einfach keine Chance.«
»Quatsch, das würde dir auf jeden Fall stehen«, versicherte ich, als wir uns wieder in Gang setzten. Insgeheim freute es mich, dass ich hier nicht die Einzige war, die sich so eingeschüchtert fühlte. Und seit meiner Zeit im Lexington machte Schönheit mich auch noch aus anderen Gründen nervös. »Damit würdest du toll aussehen.«
»Echt?« Sabine klang wirklich gerührt. Ich nickte, und sie hakte sich bei mir unter. »Du aber auch!« Mir war ganz egal, ob sie das jetzt ernst meinte oder nicht, ich hörte es einfach gerne.
Schweigend liefen wir nun die letzten paar Blocks bis zur Royal Street. Im Haus war einiges los, als wir zurückkamen – im Wohnzimmer lief der Fernseher auf Hochtouren, hinter offenen Zimmertüren erklangen Musik und Stimmengewirr, in der Küche suchte jemand nach etwas Essbarem. Jetzt teilte sich unsere Gruppe, und wir zogen uns, erschöpft von den Ereignissen des Tages, zu zweit in unsere jeweiligen Zimmer zurück.
Ich ließ Sabine schon mal vorgehen, um Lance an seiner Tür gute Nacht zu sagen – Dante war längst verschwunden.
»Du weißt schon, dass du hier pennen kannst, wenn
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