Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
ich die restlichen Fotos zusammen, die auf dem Boden verstreut waren, und gab sie ebenfalls Lance.
»Weißt du, du solltest vielleicht auch eins von dir selbst schießen, nur zur Sicherheit«, überlegte er. Damit hatte er durchaus Recht. Wenn ich jetzt so drüber nachdachte, hatte ich gar keine Aufnahme von mir selbst. Nach und nach schaute Lance die Fotos durch. Er war so in die Aufnahmen vertieft, dass ich in der Zwischenzeit mein zerrissenes T-Shirt und die Jeans ausziehen und in die neuen Sachen schlüpfen konnte, ohne dass er groß darauf achtete. So was hatte er bei mir eher selten mitbekommen. »Verlierst du etwa deinen Zauber, Haven?«, fragte er, sah sich die Fotos an und schob seine Brille höher auf die Nase.
Einen Moment dachte ich schon, dass er vielleicht meine Gedanken gelesen hatte – das hatte ich in letzter Zeit auch befürchtet – und dass wir jetzt über uns beide reden mussten, so unpassend das auch war an diesem chaotischen Nachmittag und zu einem Zeitpunkt, an dem es um Leben oder Tod ging. Aber dann wurde mir plötzlich klar, dass er nur über meinen Einfluss auf die Fotos und nicht auf ihn gesprochen hatte. Und inzwischen hatte ich ein klein wenig zu lange geschwiegen.
»Haven?« Jetzt sah er mich erwartungsvoll an und riss mich so aus meinem inneren Monolog.
»Meinen Zauber?« Ich schüttelte den Kopf, um den Blutfluss und meine Gedankenproduktion wieder anzuregen. »Nein, ich meine, ich glaube nicht, aber ich weiß es nicht. Vielleicht sind diese Teufel auch einfach anders oder so.«
Er legte nachdenklich den Kopf zur Seite und nickte, als sei das wohl eine Möglichkeit. »Also, nur damit du’s weißt, mit meinen Kräften ist alles in Ordnung«, sagte ich jetzt ein wenig eingeschnappt. So langsam begann es in mir zu brodeln. »Und es hat sich auch herausgestellt, dass ich bei dieser Schwebegeschichte viel besser bin, als ich dachte.«
Komplett angezogen stieg ich jetzt die Leiter wieder runter, setzte jeden Fuß ganz bewusst auf die Strebe. Lance folgte mir zur Tür hinaus und den Flur entlang. Wir hatten sein Zimmer schon fast erreicht, als er mich am – unverletzten – Oberarm festhielt, damit ich stehen blieb. »Warte mal eine Sekunde«, bat er ruhig und suchte in meinen Augen nach irgendetwas, das unter der Oberfläche schwelte. Ich tat mein Bestes, um einen allgemeinen Eindruck von Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln und mir jeden Hinweis auf das Unwetter, das wirklich in mir tobte, vom Gesicht zu wischen. In diesem Moment wollte ich einfach nur, dass man mich in Frieden ließ. Lance kam mir so weit entfernt vor, obwohl er mich doch berührte. »Wo willst du denn hin?«, fragte er in einem Tonfall, mit dem er mich anzuflehen schien, doch bitte nirgendwo hinzugehen.
»In den Übungsraum. Ich will noch ein bisschen trainieren, bevor ich das Gefühl für die Technik verliere, die mir heute Abend weitergeholfen hat.«
Er löste den Griff. »Sehen wir uns dann nachher noch?«
Ich nickte und ging weiter. »Aber spät. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird.«
Ich hatte den Übungsraum schon fast erreicht, als ich Sabine aus Connors Zimmer rauschen sah. Ihr Blick war eisig, sie sah aus, als wollte sie jemanden umbringen. Mit einem Mal ging sie heftig und erbittert auf mich los, so hatte ich sie noch nie gehört: »Und vielen Dank auch dafür, dass du mich bei Connor angeschwärzt hast. Wegen Wylie. Du bist echt eine tolle Freundin!«
»Ich … ich wollte doch nur …«
»Spar dir das«, zischte sie und stürmte an mir vorbei den Flur entlang. »Geht es hier um den Kuss? Was hat Lance dir bloß erzählt? Also bitte, das war doch nur ein winziges Küsschen. Immerhin war ich betrunken. Jetzt lass es mal gut sein. Das ist doch schon Tage her, also vergiss die ganze Sache.«
Ich machte den Mund auf, es kam aber nichts heraus. Schließlich sagte ich: »Gut zu wissen, vielen Dank.«
»Oh, er hat es dir gar nicht erzählt? Sorry«, stieß sie tonlos, völlig ungerührt hervor, bevor sie davonstampfte.
Als ich mich viele lange Sekunden später endlich wieder zusammenriss, kam mir dann auch in den Sinn, was ich eigentlich hätte sagen sollen: Dass ich es Connor aus gutem Grund erzählt hatte. Weil sie mir wichtig war. Ich hatte nämlich nicht vor, Sabine oder sonst irgendjemanden zu verlieren, solange ich noch ein Auge auf ihn haben konnte. Aber ich war mir nun wirklich nicht mehr sicher, was ich eigentlich von ihr halten sollte. Ich wusste nur, dass an diesem Tag sowohl mein
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