Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
verwunderlich, dass am Freitagabend auf dem Weg zum Friedhof betretenes Schweigen zwischen uns herrschte. Wir waren früh genug aufgebrochen, um uns in aller Ruhe einen Platz zu suchen. Und kurz vor zehn trennten wir uns dann von River und Tom, die Connor dazu abkommandiert hatte, uns bei unserer Mission zu unterstützen. Sie würden von Baumwipfeln auf der anderen Seite aus den Rasenplatz beobachten, den Lucian als Ort der Zeremonie genannt hatte.
Ich hatte es endlich über mich gebracht, Lance von dem Angriff am Tor zu erzählen, und obwohl sein Blick von Besorgnis zeugte, hatte er schnell das Thema gewechselt, nachdem klar war, dass ich daraus unverletzt hervorgegangen war.
»Also wird Lucian heute Abend nicht da sein?«, fragte er nun, als wir in der Nähe des Friedhofs die Rampart Street erreichten.
»Nein«, murmelte ich frustriert.
»Na ja, das ist die beste Nachricht, die ich heute gehört habe.«
Ich kaute auf meiner Lippe herum und ließ ihm die Bemerkung durchgehen. In diesem Moment konnte ich es mir wirklich nicht leisten, Energie für irgendwelche Streitereien zu vergeuden. Ich war jetzt schon nervös und aufgebracht genug bei dem Gedanken, wieder den Gottesacker aufzusuchen, auf dem erst vor ein paar Tagen jemand auf mich losgegangen war, um mich zu einem neuen Friedhofsbewohner zu machen.
Ein paar Autos zogen vorbei, Lichtkleckse mit laut dröhnender Musik. Als wir uns unserem Ziel näherten, konnte ich spüren, wie sich jeder Nerv in meinem Körper anspannte. Die Geschäfte neben Mariettes Lädchen waren alle schon geschlossen und hatten die Lichter ausgemacht. Die Kirche war dunkel und leer, der Glockenturm wirkte zu dieser Stunde unheimlich. Wenigstens hatte ich nach diesem angespannten Wortwechsel mit Lance so viel Wut im Bauch, dass ich mich beinahe darauf freute, mich beim Klettern auf das riesige Grabmal abzureagieren.
Das Tor am Eingang war uns inzwischen vertraut, und wir überwanden es ohne Probleme.
»Ich hatte beim letzten Mal gar keine Gelegenheit, mich hier mal umzusehen«, flüsterte Lance nun, als wollte er damit einen Waffenstillstand einläuten, und fuhr mit den Fingern über die bröcklige Wand einer Gruft. Er blieb vor einem glatten, pyramidenförmigen Grabstein in Weiß stehen. »Diese Gräber sind ja alle ganz unterschiedlich.« Er tätschelte den Stein wie ein schlafendes Tier. Die Gruft war fast drei Meter hoch und schien in der Dunkelheit zu leuchten, das wenige Licht zu reflektieren und zu verstärken.
»Ja, wie Schneeflocken. Dieses hier finde ich echt schön. Und ich glaube, in dem riesigen Ding liegen nur zwei Leute.« Lance zog die Hand weg, als hätte er gerade einen Leichnam berührt. »Das ist schon okay. Die stören wir nicht.« Ich lächelte, obwohl ich mich leer und traurig fühlte.
»Aber sie liegen nicht besonders tief in der Erde, oder? Also nichts mit Six Feet Under ? Wahrscheinlich ist der Boden zu schlammig.« Er bückte sich, um über den kiesbedeckten Boden zu streichen, und erwartete wohl, dass er sich feucht anfühlte.
»Ja. Ich glaube, dass sie die Leute hier begraben, sie dann nach einem Jahr rausholen, die Überreste verbrennen und sie danach wieder zur Ruhe betten.«
»Das ist ja wirklich gut durchdacht«, lobte er.
»Ja, alles ganz platzsparend. In einige von denen haben sie ganze Familien gequetscht.« Ich richtete meine extrakleine Taschenlampe auf den dunklen Pfad vor uns und führte uns zwischen Grabmälern hindurch, die etwa meine Größe hatten. Irgendwann wurde der Weg breiter, und wir erreichten das gewaltige Bauwerk aus Marmor. Es war bestimmt an die fünf Meter hoch, ein schlafender Riese in der Dunkelheit. In der Mitte stand unter einem Bogen die Statue einer Frau in einem drapierten Kleid. Von dort aus schien sie den ganzen Friedhof zu überwachen. Lance schritt einmal um die Gruft und nahm sie von allen Seiten unter die Lupe.
Es handelte sich quasi um einen Aktenschrank für Tote, von denen hier vermutlich mehrere Dutzend abgelegt worden waren. An der Außenseite gab es in sauberen Reihen und regelmäßigen Abständen rechteckige Öffnungen, groß genug, um einen Sarg hineinzuschieben. Die Klappe jeder Öffnung zierte ein Griff, der an einen Türklopfer erinnerte.
»Ich habe da eine Idee«, sagte Lance und sah dieses Ungetüm mit vor der Brust verschränkten Armen abschätzend an.
»Da raufzuklettern, indem wir uns auf die Griffe stellen und uns an ihnen hochziehen?«, schlug ich vor.
Er sah mich an, als hätte er gerade
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