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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Händen hatte. Auch sie war durch nichts zu bewegen gewesen, mit dem Schürfen aufzuhören. Der Rest hatte gar nichts gehabt oder harmlose Wunden.
    Leandro wunderte es nicht. »Vor ein paar Jahren haben wir ein Sozialprogramm aufgestellt mit Krankenversicherungen für die Guaqueros und Ausstiegsprogrammen, damit sie ein anderes Leben führen können. Aber sie wollen hier nicht weg. Solange es Smaragde gibt, gibt es Verrückte, die für einen großen Stein ihr Leben riskieren.«
    Er bot an, uns die Mine zu zeigen. Elena verzichtete. Sie hatte das alles schon oft gesehen. Auch Clara blieb auf Anraten meines Vaters im Hotel.
    Zu dritt begaben wir uns ins Herz der Förderanlage, die schwarzen Schlamm ausspuckte. Er klebte überall, an allen Fahrzeugen, Kleidern, Gebäuden und in den Gesichtern der Arbeiter.
    Vor sechzig Jahren, erklärte uns Leandro, hatten sich die Minen in Staatsbesitz befunden, korrupte Beamte hatten in ihre eigene Tasche gewirtschaftet. Familienclans und Verbrecherbanden kämpften um die Vorherrschaft in der Region. Polizei und Armee waren machtlos. Dann versuchte das Medellín-Kartell ins Smaragdgeschäft einzusteigen. Tausende von Menschen kamen bei Gefechten ums Leben. Als Leandro vor dreißig Jahren ins Geschäft einstieg, stellte er eine private Garde auf, welche die Guaqueros schützte. Der Staat gab die Minen dann in Privatbesitz. Leandro erwarb für vier Minen die Lizenz, sie auszubeuten. Die von Inza gehörte sowieso schon ihm selbst, weil er vor zwanzig Jahren den richtigen Riecher gehabt und den Bauern Grund und Boden abgekauft hatte. Er hatte viel investiert, um den Berg nach smaragdführenden Quarzadern zu durchsuchen, nach fünf Jahren war er endlich auf eine ergiebige Ader gestoßen.
    Aber wirklich vorbei war der Krieg nicht. Das Drogenkartell von Medellín hatte zwar an Einfluss verloren, aber dafür versuchten die FARC und andere Gruppen, in der Region Fuß zu fassen. Immer wieder fand man die Leichen ermordeter Guaqueros. Erst vor zwei Jahren war ein Freund von Leandro in die Hände unbekannter Mörder gefallen und lebend aus einem Hubschrauber über der Mine abgeworfen worden.
    »Achtzigtausend Kolumbianer leben vom Edelsteinhandel«, erklärte uns Leandro. »Wir exportieren sechzig Prozent aller Smaragde, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden, nicht mitgerechnet die Steine, die illegal geschürft und außer Landes gebracht werden.«
    Beklommen stolperten wir über das Gelände. Ein Bagger hieb seine Schaufel in das weiche Gestein. Darum herum standen Männer mit Hämmern und schwarz verschmierten Gesichtern und hieben auf alles ein, was nach weißem Quarz aussah, immer in der Hoffnung, ein grünes Fünkchen zu erhaschen. Der Bruch wurde in die Waschanlage gezogen. Ein Jeep brachte uns schließlich zum Schacht.
    Heiße Luft schlug uns entgegen. Der Schacht reichte hundert Meter in den Berg. In kleinen Loren kam das Gestein aus dem Bergwerk. Die Männer, die es ausluden, waren klitschnass und rabenschwarz. Leandro besorgte uns Gummistiefel und führte uns in den Berg. Die Gänge waren eng. Oft konnte man nur geduckt laufen. Wasser troff aus dem Gestein. Es war heiß und stickig. Leandro versicherte uns, dass Frischluft in die Stollen geblasen werde, dennoch hatte ich das Gefühl zu ersticken. Alles war schwarz und glitschig. Mit Presslufthämmern bohrten sich die Männer in den Berg. Grüne Steine glitzerten an der Decke, die von weißem Quarz durchzogen war. Enge, die Hitze, die Nässe und der Lärm trieben meinen Vater und mich sehr schnell wieder aus dem Bergwerk.
    Leandro lachte. »Da muss man sich dran gewöhnen, nicht wahr?«
    Die Männer dort drin arbeiteten zehn Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. »Ich zahle gut«, behauptete Leandro.
    Ich war auf einmal heilfroh, dass ich von Leandro nicht auch einen Smaragd geschenkt bekommen hatte. So was würde ich nie mehr tragen können. Auch meinem Vater war die Erschütterung anzusehen. Er war, wie schon gesagt, ein hoffnungsloser Sozialromantiker. »Wenn man einen Missstand erkannt hat«, pflegte er zu sagen, »dann muss man ihn beseitigen.« Er war nach Kolumbien gekommen, weil er glaubte, helfen zu können. Doch auf unserer Reise in die Nebelberge hatte er nichts anderes erfahren, als dass er entweder nicht helfen konnte oder seine Hilfe nicht erwünscht war. Und es hatte nicht einmal Sinn, sich darüber aufzuregen und Protestaktionen anzuzetteln. Angesichts der gigantischen schwarzen Hölle gab es nichts Vernünftiges

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