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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Das ist ziemlich weitblickend. Wahrscheinlich wird er mal ein sehr guter Politiker.«
    »Aber ich komme nicht vor in diesem seinem Leben«, bemerkte ich bitter.
    »So sieht es aus«, nickte Felicity und rührte nachdenklich in ihrem Earl Grey. Der Regen rauschte auf die Stadt nieder. Die Sonne machte sich daran, hinter den blauen Gebirgszügen zu verschwinden.
    »Weißt du was?«, sagte Felicity plötzlich und blickte mich unternehmungslustig an. »Wir zwei machen mal zusammen übers Wochenende einen Ausflug. Du bist ja inzwischen eine richtige Spezialistin in Sprache und Kultur der Indígenas vom Cauca. Ich schlage vor, wir besuchen die Katakomben von Tierradentro. Ich will da schon lange hin, habe aber keine Lust, alleine zu fahren. Was meinst du?«
    Mein Herzschlag beschleunigte sich.
    »Mein Professor ... ich habe dir doch von ihm erzählt, der Fachmann für die Indígenas, der weiß über die Páez ...«
    »Sie nennen sich selbst Nasas.«
    »... also über die Nasas kaum etwas. Wobei mir einfällt, dein Wörterbuch, das könnte ihn brennend interessieren. Du solltest ihn unbedingt mal besuchen.« Sie blickte zu mir herüber und setzte wie nebenbei hinzu: »Deinem Damián lässt du eine Nachricht zukommen, wann du in Tierradentro bist, und dann schauen wir mal, was er tut. Hm?«
    Mir schlug das Herz bis zum Hals. »Meine Eltern haben mir verboten, mich heimlich mit ihm zu treffen.«
    »Hm.« Mrs Melroy überlegte. »Das ist ein Problem. Ich kann dir nicht raten, dich über das Verbot deiner Eltern hinwegzusetzen, nicht?«
    »Außerdem habe ich keinen Kontakt zu ihm.«
    »Tatsächlich?« Sie musterte mich prüfend. »Und du hast dir noch nicht überlegt, wie du dich mit ihm in Verbindung setzen könntest? Wirklich nicht?«
    »Doch«, gab ich zu. »Ich habe eine E-Mail-Adresse. Aber ...« Ich unterbrach mich.
    »Du willst ihm nicht schreiben. Verstehe ich. Nachlaufen tun wir den Jungs auch nicht, ist es nicht so?«
    Ich musste lachen. »Na ja.«
    »Also gut. Dann mache ich dir folgenden Vorschlag. Ich rufe deine Eltern an und frage sie, ob ich dich mitnehmen darf zu einem kleinen Ausflug nach Tierradentro. Am zwölften Oktober ist Día de la Raza . Das ist ein Sonntag, also hast du Montag schulfrei. Und falls du da noch nichts anderes vorhast ...«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Also abgemacht. Und alles Weitere überlassen wir dem Schicksal. Einverstanden?«

de

– 30 –
     
    D as war eben Mrs Melroy«, sagte meine Mutter einige Tage später zu mir, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. »Sie fragt, ob sie dich mitnehmen kann nach Tierradentro an dem Wochenende, an dem Día de la Raza ist.«
    Ich sagte gar nichts dazu. Ich hatte eben gehört, wie meine Mutter Felicity Melroy ausweichende Antworten gegeben hatte. Sie müsse sich das erst überlegen. Sie müsse mit mir darüber reden.
    » Día de la Raza , was ist das eigentlich?«, überlegte sie laut.
    Ich zuckte mit den Schultern. Es war eigentlich der Tag des Kolumbus, den man hier Tag der Rassen nannte. Vor fünfhundert Jahren hatte die spanische Eroberung begonnen, die zur Vernichtung und Unterdrückung der indianischen Ureinwohner geführt hatte.
    »Das ist doch eine nette Einladung«, bemerkte meine Mutter. »Mrs Melroy hat irgendwie einen Narren gefressen an dir, nicht?«
    Ich zuckte wieder mit den Schultern.
    »Aber ist das nicht wieder viel zu gefährlich?«
    Dazu hatte ich auch nichts zu sagen.
    »Möchtest du denn überhaupt mit Mrs Melroy dorthin fahren?«, fragte meine Mutter. Meine Eltern gaben sich seit dem Streit große Mühe, mich in Gespräche zu verwickeln. »Ich meine, so eine Reise ... und du kennst Mrs Melroy doch kaum? Was meinst du denn dazu, Jasmin?«
    »Was soll ich dazu meinen?«
    »Du musst doch wissen, ob du überhaupt Lust und Zeit hast zu so einem Ausflug.«
    »Lust und Zeit hätte ich schon.«
    »Gut, dann werde ich mit deinem Vater darüber sprechen.«
    Als ich am Abend durch den Flur zur Küche ging, um mir einen Saft zu holen, hörte ich, wie meine Mutter im Wohnzimmer zu meinem Vater sagte: »Ich komme überhaupt nicht mehr an sie heran. Sie hat total dichtgemacht.«
    »Sie spielt die beleidigte Leberwurst«, grummelte mein Vater. »Aber sie wird sich schon wieder einkriegen. Spätestens, wenn sie Geld braucht.«
    Die Tür zum Wohnzimmer war angelehnt, und ich hatte keine andere Wahl gehabt, als meine Eltern zu hören. Aber jetzt blieb ich stehen und lauschte.
    »Sei nicht so hart mit ihr!«, sagte meine Mutter. »Sie

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