Der Ruf des Kolibris
ist erst sechzehn und zum ersten Mal verliebt!«
»Bist du sicher, dass sie sich in Tierradentro nicht bloß wieder mit diesem Damián treffen will?«, hörte ich meinen Vater fragen.
Es gab eine kurze Stille im Salon. Ich kannte das Gesicht meiner Mutter, wenn sie aus allen Wolken fiel. Dann sah sie wie ein junges Mädchen aus und lächelte verlegen.
»Ist dir klar«, setzte mein Vater nach, »dass Tierradentro im Cauca liegt, gar nicht weit von dort, wo wir ...« Er suchte nach unverfänglichen, aber alarmierenden Worten. »... wo diese Daguas zu Hause sind?«
»Meinst du wirklich, dass Jasmin uns so hintergehen würde?«, hörte ich meine Mutter zaghaft fragen. »Das Ganze geht auf Mrs Melroys Initiative zurück, und Jasmin schien nicht übermäßig begeistert, als ich es ihr mitteilte.«
»Hm!«, machte mein Vater.
»Außerdem haben wir doch keinen Grund, anzunehmen, dass sie uns hintergeht. Es gab den ganzen Sommer über keinen Vorfall. Wir können ihr doch nicht alles verbieten. Irgendwo müssen wir ihr doch auch vertrauen. Wir können sie nicht Tag und Nacht kontrollieren. Und ich möchte ihr auch nicht alles verbieten, Markus. Ich hätte gern, dass unsere Tochter mal wieder normal mit uns spricht. Ich halte das jedenfalls nicht mehr lange aus!«
Die Stimme meiner Mutter schwankte.
Hastig verließ ich meinen Lauscherposten. Es war eine geniale Idee von Felicity gewesen, selbst bei meinen Eltern zu fragen, statt mich fragen zu lassen. Das erkannte ich jetzt. Und dass ich nicht überschwänglich begeistert reagiert hatte, war ebenfalls geschickt gewesen. Es schien grundsätzlich besser, wenn die Eltern nicht wussten, woran mir etwas lag. Dann konnten sie es mir nicht verbieten, nur weil sie irgendeinen Verdacht schöpften. Andererseits ließ es mich natürlich auch nicht kalt, dass meine Mutter mehr litt, als ich gedacht hatte. Auch mein Vater schien ziemlich frustriert. Es tat mir schon leid, aber ich konnte es auch nicht ändern. Wenn Papa und Mama erwarteten, dass ich klein beigab und die glückliche Tochter spielte, obwohl sie mir mein Glück zerstört hatten, dann hatten sie sich getäuscht. So charakterlos war ich nicht. Und für sie wäre es ganz leicht, ihr Verhältnis mit mir ins Reine zu bringen. Sie mussten nur ihren Widerstand gegen Damián aufgeben. So einfach war das.
Elena wusste bereits, dass ich mit Mrs Melroy einen Ausflug nach Tierradentro machen wollte, als ich sie am anderen Tag in der Schule traf. Meine Mutter hatte bei ihrer Mutter angerufen und sich erkundigt, wie gefährlich so eine Reise war.
»Wirst du Damián treffen?«, fragte Elena.
»Alle scheinen zu meinen, dass ich Damián dort treffen müsse!«, stöhnte ich genervt.
»Wieso, wer noch?«
»Mrs Melroy, mein Vater ... Aber dazu müsste Damián wissen, dass ich dort bin. Und ich wüsste nicht, von wem er es erfahren sollte. Von mir jedenfalls nicht.«
Elena lächelte nur.
»Vielleicht sage ich Mrs Melroy einfach ab«, überlegte ich.
»Aber wieso denn?«
»Was soll ich denn in Tierradentro? Mal ehrlich! Das Kapitel ist für mich abgeschlossen.«
Elena lachte. »Ja klar! Und wozu hast du in den Sommerferien Nasa gelernt? Kannst du mir das mal erklären? Von wegen abgeschlossen. Dass ich nicht lache!«
»Dann lach halt!«, erwiderte ich ruppig.
Tatsächlich war ich nicht sonderlich wild auf eine solche touristische Reise. Ich wusste, ich würde von einem Tief ins nächste fallen. Ich würde ununterbrochen an Damián denken. Allerdings dachte ich sowieso ununterbrochen an ihn, so oft und so viel, dass ich manchmal wünschte, es möge ein Ende haben, ein tiefer Schlaf möge mich übermannen, und wenn ich aufwachte, wäre alles wieder wie früher, als ich ihn noch nicht gekannt hatte. Und auch mein Verhältnis zu Papa und Mama wäre wieder in Ordnung.
Mein Vater hatte absolut recht, wenn er vermutete, dass die Reise zu den rätselhaften Grabstätten der Nasas für mich nur dann interessant war, wenn ich hoffen durfte, Damián zu treffen. Ich ertappte mich dabei, dass ich mir vorstellte, Elena würde sich mit Clara in Verbindung setzen, Damiáns E-Mail-Adresse herausbekommen und ihm an meiner Stelle eine E-Mail schicken. Aber so viel Initiative traute ich ihr nicht wirklich zu. Und sicherlich würde sie sich nicht derartig einmischen wollen. Das hätte ich im umgekehrten Fall auch nicht gemacht. Dann wieder malte ich mir aus, dass Felicity Melroy Wege gefunden hatte, Damián über das Büro des CRIC die Nachricht
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