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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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vielleicht nicht gefällt, dann ist das, was man Liebe nennt, nur eine Art Überfallkommando. Verstehst du?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Du hast dich zum ersten Mal verliebt? Ich meine, so richtig?«
    Ich nickte.
    »Na dann!« Sie lachte. »Ich erinnere mich noch gut, wie es bei mir war, beim ersten Mal. Er war groß und blond und spielte sagenhaft gut Tennis. Ich spielte nicht so gut Tennis, leider, und ich war spindeldürr und ziemlich unansehnlich in meiner Jugend, fürchte ich. Na ja, ich habe mich ordentlich in ihn verliebt. Und ich weiß noch, es war ... der Horror! Es war einfach so viel, was da gleichzeitig in mir passierte, dass ich es nicht geordnet kriegte. Ich konnte nicht schlafen, nicht essen, dann wieder hatte ich einen Bärenhunger und schlief zwölf Stunden am Stück. Ich sage dir, beim zweiten Mal läuft das wesentlich ziviler ab. Du weißt dann schon, was kommt, und bist nicht mehr so mit dir beschäftigt. Und eure Unterhaltungen sind weniger schwachsinnig. Du kriegst ihn dann schon dazu, dass er dich küsst.«
    Ich lachte freundlich.
    »Ich weiß, das interessiert dich jetzt gar nicht. Du denkst nicht an deine zweite Liebe. Deine erste ist jetzt das Problem. Und du liebst ihn. Das ist klar.«
    Ich nickte.
    »Aber du weißt nicht, ob er dich liebt.«
    »Ich glaube, dass er mich liebt. Das ... das spürt man doch. So wie er ...«
    »Verstehe schon! Du brauchst mir nicht im Detail zu beschreiben, wie er dich berührt und geküsst hat. Dennoch bleibt ein Restrisiko vorhanden. Wenn du verstehst, was ich damit sagen will. Du bist bis unter die Haarwurzeln angefüllt mit deinem Gefühl. Du träumst von ihm, er sieht toll aus, du bist glücklich in seiner Nähe. Du überrollst ihn gewissermaßen mit den Stürmen deiner Liebe, und vor lauter Wellenschlagen kommst du nicht dazu, herauszufinden, wie er wirklich empfindet. Und er auch nicht, weil er immer nur am Luftschnappen ist.«
    Vielleicht hatte sie recht. Aber so weit war ich ja auch schon gekommen, mir einzugestehen, dass er nicht so für mich empfand wie ich für ihn.
    »Er hat nie gesagt, dass er mich liebt«, erinnerte ich mich.
    »Hast du ihm denn gesagt, dass du ihn liebst?«
    »Das weiß er!«
    »Hast du es ihm aber auch gesagt? Männer sind manchmal etwas begriffsstutzig.«
    »Damián nicht. Er weiß es. Außerdem habe ich ihm doch gesagt, dass ich es mit ihm probieren will.«
    »Na gut. Dann nehmen wir an, er weiß, dass du ihn unsterblich liebst. Jetzt müssen wir nur herausfinden, ob er dich ebenso liebt.«
    »Das würde nichts nützen. Ich passe nicht in sein Leben. Ich bin Weiße, er ist Indio. Ich werde in neun Monaten wieder verschwinden, er wird immer hier bleiben, denn er sieht hier seine Aufgaben. Er will eine Universität in seiner Heimat gründen, und manche Leute sagen, er werde einmal der erste Indio-Präsident von Kolumbien sein.«
    »So?« Felicity zog die Brauen hoch. »Die Leute sagen das? Die Leute reden schon über ihn? Nicht schlecht. Als Präsidentengattin hättest du vor allem repräsentative Aufgaben: Kinder streicheln, Stiftungen gründen, Aidskrankenhäuser besuchen, auf Bällen eine gute Figur machen, immer lächeln. Willst du das?«
    Ich musste lachen. »Das weiß ich doch jetzt noch nicht. Außerdem ist das im Moment nicht das Thema. Damián meint, er werde ohnehin vorher erschossen. Alle vom CRIC, die in der Politik was hätten werden können, seien bisher ermordet worden.«
    »Ah!«, rief Felicity Melroy. »Da liegt der Hase im Pfeffer. Du hast ja doch zugehört. Du hast es nur nicht hören wollen. Er möchte dich nicht als weinende Witwe zurücklassen. Oder noch schlimmer: Du stirbst an seiner Seite im Kugelhagel. Oder – und das ist für ihn sicherlich die schlimmste Vorstellung, die wahre Hölle – du wirst entführt, damit sie ihn erpressen können. Sie schleppen dich jahrelang durch den Urwald, immer in Ketten.«
    So hatte ich das noch nicht gesehen. »Aber auf die große Liebe verzichten, nur weil man vielleicht selbst stirbt oder der andere ein Unglück erleidet? Wenn jeder so denken würde, könnte nie eine Ehe zustande kommen.«
    »Ein weises Wort«, lächelte Felicity. »Gott schützt die Liebenden, sagt man. Und wenn zwei junge Menschen das Wunder der Liebe entdecken und zusammenfinden, dann denken sie natürlich nicht an all die Autounfälle, Flugzeugabstürze oder tödlichen Krankheiten, die sie ereilen und sie vorzeitig voneinander trennen können. Das ist richtig. Aber Damián denkt daran.

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