Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
mir und dann mit Elena geflirtet.«
    »Und er ist ein bisschen in dich verliebt, mein Kind, wie ich aus zuverlässiger Quelle weiß! Aber möglicherweise ist er auch ein kleines bisschen mehr in deine Freundin Elena verliebt. So richtig hat er sich noch nicht festgelegt, fürchte ich. Soviel ich weiß, soll er Elenas Smaragd sehr bewundert haben. Eine dumme Idee, einem sechzehnjährigen Mädchen einen Smaragd zu schenken! Ein iPod wäre angemessener gewesen, nicht wahr? Aber den hat sie vermutlich schon. Ich finde jedenfalls, dass Smaragde junge Mädchen alt machen. Aber die Geschmäcker sind verschieden. Und jetzt erzähl du mir mal. Ich bin ja so neugierig, obgleich das überhaupt nicht britisch ist und ich mich dafür schämen sollte. Dieser Damián Dagua soll euch das Leben gerettet haben.«
    »Da bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher.«
    Felicity zog die Brauen hoch. »Oh! Du zweifelst an dem jungen Mann? Das klingt gar nicht gut. Es klingt nach Liebeskummer. Dachte ich’s mir doch. Was ist los? Besser, du erzählst es mir als jemand anderem, denn ich bin keine Klatschbase. Von mir wird niemand etwas erfahren. Aber wenn du nicht darüber reden willst ... Ich werde nicht in dich dringen. Es ist nur ein Angebot, mehr nicht.«
    Die alte Dame mit den kurzen grauen Haaren hatte mir schon in meinem peinlichsten Moment auf dem Ball zur Seite gestanden. Sosehr sie mich anfangs mit ihrem Spott geärgert hatte, so sehr mochte ich sie inzwischen. Und irgendwem musste ich endlich mal meine Geschichte erzählen. Ich verschwieg nichts. Auch nicht den Kuss im Wasser des Smaragdsees, wenn ich auch nicht ins Detail ging. Ich erzählte von unserer Begegnung mit der Bärin und von der Szene, die mein Vater uns danach gemacht hatte. »Er hat sich benommen wie ein eifersüchtiger Trottel!«
    »Das tun Väter immer, wenn ihre Tochter den ersten Freund hat«, antwortete Felicity lächelnd. »Sie erkennen, dass sie bald ihren Einfluss auf ihr Engelchen verlieren werden, und bäumen sich ein letztes Mal auf.«
    »Damit hat er seinen Einfluss bereits verspielt. Wie soll ich ihn jetzt noch ernst nehmen?«
    »Er hat Angst, mein Kind. Das wirst du verstehen, sobald ihr euch wieder vertragt.«
    »Aber er hat keinen Grund dazu. Ich kann selber auf mich aufpassen!«
    Felicity Melroy lachte in ihren Tee. »Sicher kannst du das«, sagte sie. »Aber dein Vater kennt dich noch aus einer Zeit, wo er auf dich aufpassen musste, und das ist erst ein paar Jahre her. Dir kommt das wie eine Ewigkeit vor, du fühlst dich schon lange erwachsen, doch ältere Leute wie deine Eltern haben ein anderes Zeitempfinden. Ihnen scheint alles, was ein paar Jahre zurückliegt, gerade erst gestern gewesen zu sein. Dein Vater braucht etwas Zeit.«
    Im Grunde hatte sie recht und ich wusste es auch. Ich wusste, dass es meinen Eltern Angst machte, wenn ich mich in einen Indio verliebte. Es hatte mir ja selbst Angst gemacht. Die Konsequenzen waren so einschneidend. Wie hätte ich in neun Monaten mit meinen Eltern nach Deutschland zurückkehren können? Ich hätte in diesem Land heimisch werden wollen und müssen, mit allem, was dazugehörte, den Vätern, die ihre Kinder ermordeten, weil sie den Unterhalt nicht zahlen wollten, den Paramilitärs, die ganze Dörfer auslöschten, den Smaragdminen, der Milch-Zwiebel-Suppe zum Frühstück und der Regenzeit. Auf Frühling, Sommer, Herbst und Winter hätte ich verzichten müssen und den Bodensee mit seinen Hunderten weißer Segel und den Gipfeln der Schweizer Alpen im Hintergrund hätte ich nicht mehr wiedergesehen.
    »Aber lassen wir mal deinen Vater beiseite«, sagte Felicity. »Reden wir über den jungen Mann. Was ist denn eigentlich nun mit Damián? Was ist da schiefgelaufen?«
    »Wenn ich das nur wüsste.«
    »Du hast mir erzählt, ihr hättet euch unterhalten am Morgen nach der Nacht auf der Hochebene, wo seine Cousinen und seine Schwester lebten, und er wolle nichts mit einer Weißen anfangen, denn wir Weiße seien seine Feinde. Er müsse aufseiten seiner Leute stehen oder so ähnlich.«
    Ich überlegte. Wenn ich es genau bedachte, erinnerte ich mich kaum an das, was er wirklich gesagt hatte.
    »Du hast es nicht hören wollen«, stellte Felicity fest. »Aber lass dir eines gesagt sein von einer alten, Kummer gewohnten Frau wie mir, Jasmin: Wenn man jemanden liebt, dann sollte man ihm ganz genau zuhören. Das ist das Allerwichtigste. Zuhören! Wenn man nicht wissen will, was der andere denkt, auch wenn es einem

Weitere Kostenlose Bücher