Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
Ahnung, was er eigentlich will. Er sagt es mir ja nicht. Das heißt, eigentlich hat er es mir gesagt: Er will mich nicht lieben. Ich passe nicht zu ihm. So ist die Lage, Clara.«
    Sie legte den Arm um mich. »Juanita könnte einen Liebeszauber sprechen«, sagte sie leise. »Soll ich sie fragen, ob sie das macht?«
    Ich fuhr hoch. »Bloß nicht!«
    Clara schaute mich überrascht an.
    Ich musste kurz überlegen, warum mich der Gedanke erschreckte. »Das ... das käme mir künstlich vor.« Ich musste mich regelrecht schütteln. Die Vorstellung, dass sich ein Mann für mich entschied, der durch einen Trank oder Zauberspruch seiner Urteilskraft beraubt worden war, erschreckte mich.
    »Wenn sich ein Mann für mich entscheidet«, versuchte ich zu erklären, »soll er es tun, weil er mich meint, nicht weil irgendeine äußere Kraft ihn dazu zwingt.«
    »Aber was ist die Liebe anderes als eine Kraft, die wir mit unserem Willen und unserer Vernunft nicht bezwingen können?«, gab Clara zu bedenken. »Sie trifft dich wie ein Pfeil, und du weißt nicht, warum. Sie zwingt dich, deinen Vater und deine Mutter zu verlassen und deine Freunde zu enttäuschen. Du folgst dem Geliebten, auch wenn du weißt, dass es dein Verderben ist. Die Liebe ist eine fremde Macht.«
    Ich schüttelte heftig den Kopf. »So was will ich gar nicht erst denken.«
    Clara lachte. »Du musst keine Angst haben vor der Magie. Auch ein Zauber kann einen Menschen zu nichts zwingen, was nicht sowieso schon in ihm steckt und was er ohnehin zu tun bereit wäre.«
    »Trotzdem! Ich will nicht, dass da irgendwelche Magie ins Spiel kommt.«
    Clara lächelte.
    Ich gab ihr einen kleinen Schubs. »Grins nicht so, Clara! Ich weiß, was du denkst. Ich bin Europäerin. Mir ist der Gedanke an Magie unheimlich, obwohl ich nicht an so was glaube. Verstehst du das?«
    Sie nickte. »Ich glaube auch nicht, dass Mama Lula Juanita bereit wäre, bei dir die graue Magie anzuwenden. Sie sagt, bei Weißen sei das problematisch. Sie hätten zu viel Angst vor allem, was sie nicht rational begreifen können, und wenn es dumm läuft, dann verlieren sie vor Angst den Verstand.«
    Ungefähr so fühlte ich mich gerade. »Eine weise Frau, unsere Juanita.«
    Die Alte hatte meine Fragen nach der weißen, grauen und schwarzen Magie bisher nie wirklich beantwortet. Sie hatte so getan, als wüsste sie nicht viel darüber, aber Clara hatte mir mal erklärt, dass die weiße Magie der Heilung diente und die graue der Besänftigung des Schicksals. Darunter fielen Zeremonien zum Schutz auf einer Reise oder zur Abwehr eines Unglücks. Und dann gab es noch die schwarze Magie. Sie enthielt Flüche und Schadenszauber und die jeweiligen Gegenzauber.
    »Warum hat sie eigentlich dich nicht heilen können?«, fragte ich an diesem Abend endlich einmal.
    »Weil ich mich von ihr nicht habe heilen lassen wollen«, antwortete Clara freimütig. »Juanita hat immer gewusst, dass ich die Berge verlassen muss, um gesund zu werden. Sie hat es mir auch gesagt, bevor sie selbst uns verlassen hat. Ich sei kein Kind der Berge, hat sie gesagt, ich sei ein Kind des Wassers. Aber ich habe es ihr nicht geglaubt. Ich habe gedacht, diesmal irrt sie sich. Ich sei glücklich bei meiner Familie.«
    Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht.
    »Erst als die deutsche Lehrerin nicht wiederkam, habe ich begriffen, dass nicht sie, sondern ich mich geirrt habe. Es hatte mich glücklich gemacht zu lernen. Als sie verschwunden war, wurde mir klar, dass ich für den Rest meines Lebens Pullover stricken, Mais ernten und das Vieh versorgen würde.«
    »Und dass dein Onkel dich nie gehen lassen würde.«
    Clara nickte.
    »Warum hat Damián dir nicht geholfen?«
    »Ich wollte nicht, dass er sich meinetwegen mit Onkel Tano überwirft. Ich dachte, dass ich sowieso bald sterbe.« Sie atmete schwer und griff nach dem Asthmaspray.
    Ich hatte plötzlich eine Eingebung. »Es hat alles mit dieser Deutschen zu tun, nicht wahr? Mit Susanne Schuster.«
    Clara schaute mich angstvoll an.
    »Ich weiß, es ist gefährlich, darüber zu reden. Aber wir sind allein, Clara. Niemand hört uns zu. Die Spione deines Onkels sind nicht hier. Sie trauen sich nicht an den Göttern vorbei, die hier überall auf die Pfosten gemalt sind.« Auf einmal begriff ich, warum Juanita sich hier hinter den Insignien ihrer Kultur verschanzt hatte. »Juanitas Macht beschützt dich.«
    »Susanne wollte ...« Clara keuchte und setzte dann neu an. »Sie wollte mich mitnehmen nach

Weitere Kostenlose Bücher