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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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eine Zukunftsprognose abgab. Ich war außerdem gänzlich mit Damiáns Lächeln beschäftigt, mit dem Glitzern in seinen dunklen Augen, dem Widerschein des Feuers und der Öllampen auf seiner seidig glatten Haut.
    Er stand auf und gab mir einen kurzen Kuss, so wie es unter Liebenden üblich war. Clara lächelte breit. Und mir schwindelte vor Glück. Zum ersten Mal gab es so etwas wie Normalität zwischen Damián und mir. Wir mussten uns nicht verstecken. Die kleinen Gesten der Zuneigung und Zärtlichkeit waren nicht verboten. Auf einmal kam mir alles, was ich in den letzten Wochen gedacht und gefühlt hatte, meine Qualen der Unsicherheit, der Zweifel und die Schmerzen, nur noch halb so dramatisch vor. Vielleicht hatte Damián und mir immer nur die Normalität gefehlt, der Anstandsbesuch bei meinen Eltern, ein Kinobesuch, Kaffeetrinken in einer Bar, Spazierengehen, ein paar Partys.
    Juanita stellte mir einen Tinto hin, einen Kaffee.
    »Trink! Wir gehen gleich los«, sagte sie und machte sich daran, ein paar Dinge von den Regalen, aus ihren Körben und Hausecken in eine Decke zu sammeln, die sie nach der typischen Art der Indios zusammenrollte und sich vor dem Schlüsselbein verknotete, sodass der Inhalt wie ein Rucksack auf ihrem Rücken hing.
    »Wo gehen wir hin?«, fragte ich.
    »Eine Reinigungszeremonie muss an einem fließenden Gewässer stattfinden«, erklärte Clara. Sie wirkte heiter und unbeschwert, so als hätte sich für sie bereits alles geklärt. Ich nahm mir vor, sie nachher zu fragen, ob sich für sie etwas Glückliches ergeben hatte, ein Job, eine erste Liebe ...
    »Und wo gibt es hier ein fließendes Gewässer?«, fragte ich. Mir fielen eigentlich nur Abwasserkanäle ein.
    Clara zwinkerte. »Vertrau dich Mama Lula an. Sie kennt den Berg.«
    Damián nahm mich bei der Hand. Ich spürte, wie meine zappeligen Finger in seinen noch einmal kurz aufbegehrten und dann ruhig wurden.
    Es war eine laue Nacht, die Luft war geschwängert mit dem Duft von Nachtblüten, die um Nachtfalter warben. Das ewige Rauschen der Stadt wurde gelegentlich übertönt von den Rufen und Schreien von Getier. Es hätte mich nicht gewundert, einen Jaguar brüllen zu hören, so komplett war die Illusion von Urwald und Wildnis am Hang hinter der Hütte.
    Juanita ging mit ihrem humpelnden Schritt voran. Sie trug die Petroleumlampe. Damián hatte dagegen eine starke Taschenlampe dabei. Clara kam wie selbstverständlich auch mit.
    Von mir aus hätte der Weg nie enden müssen. Nie hatte ich mich Damián näher gefühlt. Seine Finger waren locker durch meine geflochten, manchmal schloss er die Hand, als ob er sich versichern wollte, dass ich noch da war und ihn spürte, und als ob er mir sagen wollte: Ich bin bei dir, und ich freue mich, dass du bei mir bist.
    Wir gingen in den Himmel.
     
    Plötzlich standen wir an einem Bach. Im Licht unserer Lampen sprang das Wasser blitzend über Steine und verschwand zwischen Gebüsch und Wurzeln in der Dunkelheit. Juanita legte ihren Sack ab, schlug die Decke auseinander und begann die Gegenstände zu ordnen und zu verteilen. Sie füllte eine Tonschale mit Wasser und streute Pulver.
    Ich wollte schon fragen, wann es losging, dann merkte ich, es hatte längst begonnen. Die Zeit war vorüber, wo ich, Jasmin Auweiler aus Konstanz, noch was zu sagen gehabt hätte. Längst hatte Juanita Zeit und Raum übernommen. Sie band Damián und mir Wollfäden ums Handgelenk, sie umrundete uns und streute dabei schwarzes Pulver um uns herum, sie befeuchtete den Finger und malte uns mit dem Pulver Zeichen auf die Stirn. Dabei murmelte sie atemlos und beinahe tonlos Worte und Sätze, die ich nicht verstand.
    Ehrlich, ein bisschen lächerlich war es schon. Sogar ziemlich lächerlich. Wenn ich das Vanessa erzählt hätte, oder Vanessa so etwas mir erzählt hätte, wir hätten uns totgelacht. Da standen Damián und ich, so wie wir vorhin unsere Häuser verlassen hatten, ganz und gar moderne Menschen, in Jeans und Regenjacken mit Turnschuhen an den Füßen und – zumindest ich – Handy in der Tasche beim Schein einer Petroleum- und einer Taschenlampe und ließen uns die Stirn zeichnen und von einer hinkenden Alten mit langen Zöpfen umrunden, die indianische Sprüche murmelte, mit einem Federbündel wedelte, uns mit Wasser besprengte, mit Staub bewarf, wieder besprengte, uns die roten Wollfäden von den Handgelenken riss und schließlich ein verdorrtes Tier ins Mondlicht hielt, das – wie mir schlagartig einfiel –

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