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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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tragen?«
    »Mein Vater sagt, wir können uns nicht anbiedern bei den Ureinwohnern. Obwohl er indianisches Blut in seinen Adern fließen hat, wie er sagt. Aber hauptsächlich hat er spanisches Blut. Er stammt auch von den Eroberern ab, und die haben die Indios getötet, früher einmal. Wenn wir in Indioklamotten rumlaufen, dann wäre das ... na ja, wie Hohn und Spott. Verstehst du?«
    »Deshalb habe ich jetzt auch gedacht, ob es nicht besser ist, wenn ich was anderes anziehe, irgendwas aus Chiffon mit Volants, was Hellblaues oder so.«
    Hellblau! Mir grauste jetzt schon. Tante Valentina hatte einmal festgelegt: »Hellblau, das steht der Jasmin. Da sieht sie frisch und fröhlich aus.«
    Meine Mutter hatte leider überhaupt keinen Geschmack. Deshalb vertraute sie in Kleiderfragen ihrer Schwester Valentina, die zwar keine Kinder hatte, dafür aber zu allem eine Meinung.
    Doch frisch und fröhlich wollte ich auf keinen Fall aussehen. Auch wenn das den Erwachsenen am besten gefiel.
    »Aber das Kleid steht dir«, sagte Elena. »Und richtig echt Folklore ist es doch auch nicht. Die Frau von Präsident Uribe hat kürzlich auch mal so was angehabt. Das ist jetzt Mode. Außerdem ist es schon spät. Der Chauffeur wartet. Und wenn du willst, dass ich dich mitnehme ...«
    Und davon abgesehen: Damián würde mich in diesem Kleid doch niemals zu Gesicht bekommen. Ein Hausmeistergehilfe wurde nicht auf einen Diplomatenball eingeladen.

de

– 6 –
     
    I ch war nicht dazu gekommen, mit Elena meine Beobachtungen, die Damián betrafen, zu besprechen. Vielleicht hatte ich auch nicht dazu kommen wollen. Die nächsten Tage hielt ich nach ihm Ausschau, wenn ich übers Schulgelände ging. Aber ich sah ihn nicht. Vielleicht hatte er ja von sich aus gekündigt, nachdem er mich hier gesehen hatte und wusste, dass ich aufs Colegio Bogotano ging und ihn jederzeit entlarven konnte.
    Am Freitag fragte mich Elena beim Mittagessen, ob ich wieder was von dem Gärtner gehört hätte, der mich beklaut hatte.
    Ich gab mich zerstreut. »Wer? Ach der. Übrigens arbeitet er hier, in der Hausmeisterei. Er heißt Damián Dagua.«
    »Was?«
    »Ja, ich habe ihn gesehen, am Montag, glaube ich, war das. An einem Computer in der Bibliothek. Jemand hat mir dann gesagt, wie er heißt und dass er hier arbeitet.«
    »Aber er hat dich beklaut!«
    »Nein. Er hat mir die Uhr zurückgegeben. Vergiss es, Elena!«
    »Aber wenn er hier auch klaut!«
    »Hör mal, jeder gilt als unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils.«
    »Du musst mit ihm reden!«
    »Das werde ich auf keinen Fall tun. Was geht’s mich an?«
    »Da sind doch kürzlich Materialien in der Hausmeisterei weggekommen. Erinnerst du dich nicht?«
    Das war vor meiner Zeit gewesen. Im Dezember hatte es einen Einbruch in den Wirtschaftsräumen gegeben. Die Einbrecher hatten hauptsächlich Elektrokabel und Werkzeug gestohlen, aber auch Putzmittel und Gärtnereibedarf, darunter eine Kettensäge.
    »Das passt doch!«, stellte Elena fest. »Damián spioniert aus, was es wo gibt, und sagt es dann seinen Leuten. Wetten, dass er selber ein Alibi hat. Das weiß man doch, wie so was geht.«
    »Vorsicht!«, warnte ich sie noch einmal, ohne mir Rechenschaft darüber abzulegen, warum ich das tat, »das ist nur ein vager Verdacht. Wir wissen nicht, ob es so ist. Und wenn wir solche Gerüchte in die Welt setzen und es stimmt nicht und er wird deshalb entlassen, dann ist das auch nicht richtig.«
    Zum Glück setzten sich ein paar Mädchen aus der C zu uns und wir sprachen über etwas anderes. Aber Elena fing in jeder Pause wieder davon an. Schließlich platzte mir der Kragen.
    »Jetzt mach mal einen Punkt!«, fuhr ich sie an. »Du verdächtigst ihn doch nur, weil er ein Indio ist. Das ist Rassismus! Jedenfalls bei uns in Deutschland.«
    »Du weißt nicht, wie es hier ist!«, antwortete Elena. »Die erschießen dich wegen ein paar Tausend Pesos! So ist das hier. Man muss sich schützen!«
    Mehr sagte sie dazu nicht. Ich merkte, dass sie gekränkt war. Sie hatte schnell mal den Eindruck, dass ich auf sie hinabschaute, weil sie Kolumbianerin war. Hier galten wir Deutsche als stark und diszipliniert, aber auch als ein bisschen arrogant. Elena war in der Frage besonders empfindlich, weil ihre Eltern, wenn sie sich stritten, irgendwann bei den Nationalitäten anlangten und ihr Vater ihrer Mutter vorhielt, sie sei eine typische Deutsche, geizig, dickköpfig und arrogant, und sie ihm vorwarf, er sei ein echter Latino, stolz und

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