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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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jetzt tun? Musste ich zur Schulverwaltung gehen und sie darauf aufmerksam machen, dass ihr Hausangestellter noch woanders gärtnerte und dort mit einem Äffchen Raubzüge unternahm? Und dass er in einem Haus wohnte, das nicht darauf schließen ließ, dass legal erworbenes Geld vorhanden war? War es meine Pflicht, meine Beobachtungen zu melden, oder nicht? Und musste ich das jetzt augenblicklich entscheiden? Hingen unmittelbar Menschenleben davon ab? Nein. Also konnte ich vorher noch mit Elena sprechen, vielleicht sogar mit meinen Eltern. Aber auch darüber musste ich noch nachdenken.
    Ich überlegte vorerst kurz, ob ich Vanessa eine Mail schreiben sollte, aber bis der Bus ging, war nicht mehr viel Zeit. Eines konnte ich noch tun, auch wenn ich mir dabei wie eine Polizistin vorkam: schauen, welche Seiten Damián besucht hatte. Die waren im Verlauf gespeichert. Ich klickte das Symbol an. Nichts! Er hatte den Verlauf gelöscht. Mein Herz pochte hart und traurig. So was tat nur jemand, der etwas zu verbergen hatte.
    Ich gab meinen Computerplatz auf – ich konnte sowieso keinen klaren Gedanken fassen – und rannte über das Gelände zur Haltestelle des Busses vom Servicio Escolar. Manchmal nahm Elena mich mit. Sie wurde ja von einem Chauffeur abgeholt. Aber heute war sie schon früher gegangen, weil sie nicht mit beim Schwimmen gewesen war.
     
    Beim Abendessen fragte Mama mich, ob ich eigentlich ein Kleid für den Ball hätte. Ich war erstaunt. Sie wusste, dass ich keines besaß. »Gehen wir denn hin?«
    »Dein Vater hat versichert, dass er keinen Dienst hat, auch keine Rufbereitschaft«, antwortete meine Mutter. Sie lächelte streng. Die Arbeitszeiten meines Vaters waren ein ständiges Thema bei uns. Oft war er zum Abendessen noch nicht zu Hause. Meine Mutter hatte dagegen regelmäßige Arbeitszeiten. Sie war nur tagsüber im Labor, wenn ich in der Schule war.
    Aber heute war mein Vater ausnahmsweise schon zu Hause. Und er nickte amüsiert. »Ich weiß doch, was ich meinen zwei Damen schuldig bin.«
    Dafür wusste ich auf einmal nicht mehr, ob ich mich darüber freuen sollte, dass wir zum Ball gingen. Er kam mir plötzlich irgendwie nebensächlich vor. Diplomaten, Ärzte, reiche Leute, schöne Kleider. Doch Damián würde nicht dabei sein ... Stopp! Wo denkst du hin? Ich war erschrocken. Ich hatte mich doch nicht etwa verliebt? Aber nein! In einen Dieb und Drogendealer, niemals! Ich war nur besorgt, ob ich meine Beobachtungen melden musste oder ob ich unrecht hatte und einem Unschuldigen schaden würde. Und niemand konnte mir sagen, was richtig war. Auch meine Eltern nicht. Sie würden sich nur unnötig aufregen, und sie konnten es auch nicht besser beurteilen als ich. Sie würden mir sicherlich raten, der Schulleitung Bescheid zu sagen, weil sie nur an unsere, an meine Sicherheit dachten. Für sie wäre Damián einer von Millionen jungen Kolumbianern, die irgendwie ihr Glück machen wollten, einer wie der andere. Der eine strauchelte und hatte Pech, vielleicht zu Recht, vielleicht auch nicht. Ihnen konnte es egal sein, sie hatten Damián sicherlich noch nie gesehen, noch nie bewusst angeschaut.
    »Freust du dich denn nicht?«, hörte ich meine Mutter fragen. Sie hatte schon eine Weile darüber gesprochen, wo wir am besten ein Kleid für mich bekommen würden.
    »Doch. Ich ... ich dachte nur nicht, dass wir gehen. Und ich glaub’s auch erst, wenn wir tatsächlich dort sind.«
    Der Ball galt als Höhepunkt des Sommers, drei Wochen bevor die Sommerferien anfingen, die zwei Monate dauerten. Wobei sich der Sommer hier, wie gesagt, nicht groß vom Winter unterschied. Regenzeit war im März und April und dann noch einmal im Oktober und November. Am wenigsten regnete es im Januar und Februar.
    »Wir werden gehen, wenn nicht etwas völlig Unvorhergesehenes passiert«, sagte mein Vater. »Ich will nämlich mit Präsident Uribe über die medizinische Versorgung in Bogotá reden.«
    »Der wird auch gerade mit dir darüber reden!«, sagte ich.
    »Warum nicht? Meine Klinik in Konstanz könnte zum Beispiel die Patenschaft für eine mobile Kinderklinik übernehmen, einen Bus kaufen und die jungen Ärzte bezahlen. Vielleicht kriegen wir sogar einen Hubschrauber.«
    Mein Vater war ein Träumer, ich sagte es schon.
    »Dir reicht es wohl nicht, dass du in deiner Klinik reiche Leute operierst, die sonst gestorben wären«, sagte ich. »Du willst auch noch die Armen retten.«
    Mein Vater lächelte. »Irgendwo muss man anfangen,

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