Der Ruf des Kolibris
Vater gemerkt. Mir kannst du es ruhig sagen. Ich erzähle es nicht weiter. Ich könnte das verstehen. So gut, wie er aussieht.«
»Und wenn? Es hätte eh keine Zukunft.«
»Das wäre mir egal«, behauptete Elena. »Wenn ich mich mal verliebe, wäre es mir völlig egal, wer er ist. Ob er Geld hat oder nicht. Das ist egal, wenn man liebt.«
»Aber deinen Eltern wäre es nicht egal.«
Sie lachte. »Du bist unromantisch. Außerdem sind Eltern immer dagegen, ganz gleich, wer er ist. Väter sind immer eifersüchtig auf den Freund ihrer Tochter. Meiner wäre es jedenfalls.«
»Damián ist nicht mein Freund«, sagte ich. »Ich kenne ihn ja kaum.«
Elena lachte vor sich hin.
»Echt nicht!«, rief ich. »Halt endlich die Klappe, ja!«
Sie lachte.
Der Weg führte um eine Bergnase herum und wurde wieder schmaler. Es war mir eine willkommene Gelegenheit, mein Pferd zu parieren und Elena voranreiten zu lassen. Wir mussten uns unter Zweigen durchbücken. Damián, mein Vater und Elena verschwanden zeitweilig aus dem Blickfeld. Auch Leandro fiel allmählich zurück. Er hatte sein Satellitenhandy aus der Westentasche gezogen, wie ich noch sah, bevor die Zweige hinter mir zusammenschlugen. Für einige Minuten war ich allein mit meinem Pferd in der feuchten und dichten Natur, allein mit den schwirrenden Insekten und dem Geflatter unsichtbarer Vögel. Die Blätter tropften, bunte Frösche klebten an ihnen. Zweige knackten, ein flüchtendes Tier raschelte.
Noch vor einem Jahr hätte ich mir nicht träumen lassen, dass ich einmal auf einem Pferd durch den Regenwald der Anden reiten würde. Was hatte ich mich gegen das Jahr in Kolumbien gewehrt! Jetzt war ich froh, dass meine Eltern sich durchgesetzt hatten. Ich hätte sonst einen wichtigen Teil meines Lebens nicht gelebt, dachte ich. Auch wenn ich momentan nicht wusste, ob dieser Teil meines Lebens gut oder böse ausgehen würde. Aber es war mir seltsamerweise gleichgültig. Ich fühlte mich so lebendig und stark wie nie. Insgeheim war ich mir sicher, es könne nicht böse oder traurig enden. Wenn wir uns nur einig waren, Damián und ich. Wenn wir nur wollten.
Hatte mir nicht Elena gerade eben versichert, dass er mich auf diese besondere Art anschaute, dass er sich in mich verliebt hatte? Sie konnte es von außen besser beurteilen als ich, die ich bis über beide Ohren in meiner Erregung steckte. Sie hatte die Zeichen gesehen, die Vanessa auch immer untrüglich erschienen waren und die sie mir nie hatte erklären können. Wenn das stimmte, dann war es ein Wunder, das ich noch gar nicht begreifen konnte. Was für ein Glück, dass ich blaue Augen hatte, die Damián faszinierten, und diese in Deutschland so langweiligen rötlich blonden Haare und eine blasse Haut. Hier wirkte ich exotisch damit. Damián fand mich schön, das hatte er gesagt, gestern auf der Treppe der Kathedrale.
Hinter der nächsten Biegung wartete Elena auf mich.
»Wo ist Papa?«, rief sie.
Ich hielt mein Pferd auch an. Nach einer Weile hörten wir die Tritte von Leandros Pferd wieder. Außerdem hörten wir seine Stimme. Er telefonierte. Als er unter dem Gezweig erschien, steckte er das Handy gerade zurück in seine vieltaschige Weste. Sein Gesicht war ernst.
»Was ist?«, fragte Elena.
»Satellit verloren«, murmelte er. »Zu viele Bäume.«
»Hast du mit Mama telefoniert?«
Leandro schüttelte den Kopf. Seine Miene blieb finster. Er hielt sein Pferd ebenfalls an.
»Was ist los?«, drängelte Elena. »Irgendwas ist doch!«
»Na ja, wahrscheinlich nichts. Ich hatte Pepe dran.«
Das war einer der Bodyguards, die wir auf dem Pass zurückgelassen hatten.
»Sie sind inzwischen in Popayán. Sie haben gehört, dass es einen Kampf gegeben hat, letzte Nacht, ein Gemetzel, heißt es. Fünf Tote. Es soll sich um die Leute von Major Antonio handeln. Aber er selbst ist nicht unter den Toten.«
Mein Herz begann heftig zu pochen.
»Man hat sie im Wald gefunden, nicht weit von unserer Herberge entfernt.«
»Und wer war es?«, fragte Elena etwas beklommen.
»Wer wird das wohl gewesen sein?«, antwortete Leandro hart. Er nickte mit dem Kinn voraus, wo mein Vater und Damián aus unserer Sichtweite verschwunden waren. »Es wäre ein Wunder gewesen, wenn es ohne Blutvergießen abgegangen wäre. Das war zu erwarten gewesen.«
»Und was bedeutet das für uns?«, fragte Elena.
»Wollen wir hoffen, dass meine Spende an den CRIC groß genug war. Jedenfalls befinden wir uns jetzt in seiner Hand. Hoffen wir, dass er es
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