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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Fünf der jungen Männer, die uns vorgestern Nacht überfallen hatten, waren tot. Sie waren nicht unsere Freunde gewesen, sie hatten uns beraubt, aber sie hatten uns eigentlich nichts getan. Und sie waren jung gewesen, manche vermutlich kaum älter als ich, doch schon dazu verdammt, dieses Leben im Kampfanzug mit Gummistiefeln zu leben, weil es keine Arbeit gab, nur Mangel, Hunger und Ungerechtigkeit, und weil einige skrupellose Männer wie Don Antonio daraus ein blutiges Geschäft unter dem Deckmäntelchen des Kampfs für mehr Gerechtigkeit machten. Ich hatte die jungen Männer nicht gekannt, manche waren maskiert gewesen, aber nun waren sie tot, und es war mir nicht egal, es ließ mich nicht kalt, es erschreckte mich. Es war anders, als von Toten in der Zeitung zu lesen oder im Fernsehen oder Radio zu hören. Eben noch hatte ich die Jungs herumspringen und sich um Elenas Silberkettchen balgen sehen, ein paar Stunden später lagen sie irgendwo reglos im Schlamm. Aus und vorbei.
    Und Damián hatte sie getötet.
    Es war furchtbar, als mich sein forschender Blick traf. Seine Augen waren so scharf und dunkel, so lebendig und klug. Er war mir so entsetzlich vertraut wie ein Teil von mir: das kurze Zucken seiner linken Braue, kurz bevor er lächelte, seine kräftigen Hände, die selbst in Ruhe immer ein klein wenig in Bewegung waren, so als seien sie immer bereit zuzupacken. Eben noch hatte ich mich stark genug gefühlt, sein Geheimnis zu ergründen und zu ertragen, und die Aussicht, ihn kennenzulernen, hatte wie ein aufregendes Abenteuer vor mir gelegen. Und jetzt ... Die Liebe war doch fürchterlich. Sie machte verletzbar, sie machte wehrlos, sie war der Vorbote der Enttäuschung und Desillusionierung. Das wusste ich auf einmal. Es waren die Schmerzen, die meine Mutter mir hatte ersparen wollen. Aber es war ihr nicht gelungen. Und ich musste ganz allein damit fertig werden. Niemand würde mir helfen, nicht einmal Damián.
    Er hatte sich zu uns umgedreht, deutete auf den Geröllhang, der vor uns lag, und sagte: »Der Hang ist vor ein paar Tagen abgerutscht. Wir steigen besser ab und führen die Pferde. Sicher ist sicher.«
    Er saß ab. Mein Vater fiel mehr vom Pferd, als dass er abstieg. Die Wirkung der Kokablätter war längst verflogen, auch mir tat der Hintern weh.
    »Wir müssen die Zügel verknoten«, ordnete Damián an und half meinem Vater, einen Knoten in die Zügel zu drehen, damit sie nicht durchhängen konnten.
    Dann kam er zu mir.
    »Was ist los?«, raunte er mir ins Ohr, während er ein paar unnötige Griffe ins Zaumzeug und an den Sattel meines Pferdes machte. »Was ist passiert?«
    »Nichts!«, antwortete ich. Auf keinen Fall durfte ich ihm sagen, was Leandro, Elena und ich befürchten mussten. Unser Misstrauen war der einzige Vorteil, den wir hatten. Ansonsten lagen alle Vorteile auf seiner Seite.
    »So, nichts?«, fragte er zurück. Sein Blick überflog rasch das verstörte Gesicht von Elena und die finstere Miene Leandros. »Nun«, sagte er hart, »wie du meinst.«
    Die Heiterkeit der letzten Stunden war aus seinem Gesicht verschwunden. Er biss die Zähne zusammen, wandte sich ab, verzichtete darauf, Elenas und Leandros Pferde zu überprüfen, und ging zu seinem Pferd zurück.
    Die Geröllhalde, die den Weg verschüttet hatte, war schätzungsweise fünfzig Meter breit. Die Steine schienen locker zu sitzen und waren teilweise von Schlamm überzogen.
    »Am besten«, wandte Damián sich wieder an uns alle, »ihr lasst die Pferde alleine laufen und achtet nur darauf, wo ihr hintretet. Und wenn ein Pferd abrutscht: nicht nach dem Zügel greifen. Sonst reißt es euch mit, wenn es abstürzt. Verstanden?«
    »Ja«, antwortete mein Vater. Er war der Einzige, der antwortete.
    »Und wenn einer von euch ins Rutschen kommt, bleibt ihr alle stehen. Keiner bewegt sich! Keiner eilt dem anderen zu Hilfe. Und der, der rutscht, wirft sich hangaufwärts auf den Bauch und wartet, bis alles wieder zur Ruhe kommt. Klar?«
    »Sollten wir nicht lieber umkehren?«, fragte Elena. »Ich glaube, ich schaffe das nicht.«
    »Das halte ich auch für besser«, sagte Leandro rasch.
    Damián richtete sich auf und blickte uns nachdenklich an. »Ihr wollt umkehren? Von mir aus. Allerdings geht die Sonne in anderthalb Stunden unter. Wir müssten kampieren.«
    »Und wie weit ist es bis zu dir nach Hause?«, erkundigte sich mein Vater.
    »Etwa eine halbe Stunde.«
    Mein Vater drehte sich zu uns um. »Also, ich als alter Bergsteiger würde

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