Der Ruf des Kolibris
sagen, es ist gefährlich, aber machbar. Und der Gedanke, den ganzen Weg unverrichteter Dinge wieder zurückzureiten, gefällt mir nicht, vor allem meinem Hintern nicht. Jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind. Allerdings würde ich zu unserer aller Sicherheit vorschlagen, dass wir eine Seilschaft bilden. Wir können ja die Zügel aneinanderschnallen. Oder nicht?«
»Auf dem Packpferd ist ein Seil«, antwortete Damián knapp. »Die Entscheidung liegt bei euch.« Sein Blick traf mich, und vielleicht nur für mich setzte er hinzu: »Ich habe euch nicht darum gebeten, mit mir zu kommen.« Es klang bitter.
»Stimmt«, sagte mein Vater. »Also los! Schauen wir uns das Seil mal an!«
Auch Leandro mochte zu dem Schluss gekommen sein, dass wir nicht unbedingt in Sicherheit waren, wenn wir im Urwald übernachteten, und noch weniger, wenn Damián spürte, dass wir Verdacht geschöpft hatten. Wir waren ihm ausgeliefert. Wir würden nichts dagegen tun können, wenn er unser Nachtlager verließ und seine Mordbanden rief, diejenigen, die Antonios Bande den Garaus gemacht und ihr unsere Wertsachen wieder abgenommen hatten. Jedenfalls bestand Leandro nicht darauf umzukehren. Er machte sich zusammen mit meinem Vater daran, Elena und mich mithilfe unserer Gürtel ins Seil zu schnallen.
Damián lehnte die Beteiligung an der Seilschaft ab. Er wollte als Erster den Geröllhang überqueren, zusammen mit allen Pferden, dann sollten mein Vater, ich, Elena und Leandro im Seil folgen. Das hieß zunächst warten.
Damián betrat die Halde, ohne zu zögern. Die Steine lagen fester, als es aussah. Dennoch bebte ich bei den ersten Schritten, die er machte, und als ein Stein rollte, verschlug es mir den Atem.
»Na, geht doch«, meinte mein Vater.
Als die sechs Pferde eines nach dem anderen die Geröllhalde betraten, konnten wir Damián, der vorneweg ging, kaum noch sehen. Ein paarmal rutschten die Pferde mit den Hufen ab und Steine prasselten zu Tal, aber eigentlich ging es ganz gut. Die Pferde trampelten außerdem für uns einen kleinen Pfad in die Halde, der es uns leichter machen würde.
Elena bibberte dennoch vor Angst und Erschöpfung. »Ich schaffe das nicht«, sagte sie immer wieder. »Ich will da nicht hinüber. Ich habe heute Geburtstag, ich will nicht sterben!«
»Ich bin doch bei dir«, sagte ihr Vater. »Ich halte dich fest.«
»Es ist auch gar nicht so gefährlich«, ergänzte mein Vater.
Aber die Tränen liefen Elena übers Gesicht. Sie war total fertig. Sie war derartige körperliche Anstrengungen nicht gewöhnt, genauso wenig wie ich oder mein Vater. Aber das war es nicht allein.
»Wozu soll ich denn mein Leben hier riskieren, wenn wir nachher sowieso umgebracht werden!«, schluchzte sie.
»Was soll denn das heißen?«, erkundigte sich mein Vater.
Leandro informierte ihn kurz über das, was er von seinen Bodyguards erfahren hatte.
»Aha!«, sagte mein Vater ernst. Er überlegte: »Und warum war Damián dann sofort bereit, mit uns umzukehren, wenn er eigentlich dich, Leandro, in seine Gewalt bekommen will? Wie passt das zusammen? Warum lässt er uns hier alleine stehen? Wahrscheinlich, damit wir uns in Ruhe beraten können. Glaubt ihr denn, er hat nicht gemerkt, dass ihr drei ziemlich ängstlich dreinblickt? Und in einem hat er recht. Er hat uns nicht gebeten, ihn zu seiner kranken Schwester zu begleiten. Ich habe darauf bestanden und du auch, Leandro!«
Leandro nickte. »Das stimmt schon.«
»Na bitte!« Mein Vater wandte sich an Elena, die zitternd in unserer Mitte stand. »Überleg doch mal! Was denkst du, warum Damián uns hier stehen gelassen hat. Er möchte, dass wir uns darüber beraten können, ob wir ihm folgen und seiner Schwester helfen wollen, so wie wir es versprochen haben. Er gibt uns die Gelegenheit umzukehren. Wir können sie nutzen. Und uns wird nichts passieren.«
»Aber er hat die Pferde!«
»Die würden uns bei einem nächtlichen Marsch durch den Urwald wahrscheinlich sowieso nicht viel nützen.«
Elena biss sich auf die Lippen.
Damián war mit seiner Karawane inzwischen fast auf der anderen Seite angelangt. Mein Vater blickte uns der Reihe nach an und sein Blick verweilte etwas länger in meinem Gesicht.
»Warum dieses Misstrauen?«, fragte er schließlich. »Glaubt ihr wirklich, dieser junge Mann, der aufs Colegio Bogotano gegangen ist und eine Universität für seine Leute gründen will, ist ein blutrünstiger Krimineller, der sein Geld mit Geiselnahmen verdient?«
»Weiß man’s!«,
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