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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Wasserfall?«, jubelte Elena. »Ein See? Oh! Kann man darin baden?«
    Damián nickte lächelnd.
    Wenige Minuten später führte er Elena, meinen Vater und mich durchs Dickicht, wo nur er einen Pfad sah, in den Urwald hinein. Schon nach wenigen Schritten umgab uns das üppige und feuchte Grün so undurchdringlich, dass ich mir nicht mehr zugetraut hätte, den Rückweg zu finden. Große Käfer stolperten über Äste, Insekten schwirrten, knallbunte Frösche hockten im Gezweig und auf der schwarzen Erde.
    Elena schrie auf und blieb stehen. »Pfeilgiftfrösche!«
    »Interessant!«, sagte mein Vater und beugte sich hinab.
    »Nicht anfassen!«, kreischte Elena. »Sie sind tödlich giftig!«
    »Ich weiß. Es ist ein Kontaktgift, und man weiß nicht genau, wie sie es herstellen.«
    Elena schüttelte sich. »Hier geh ich keinen Schritt weiter!«
    »Sie greifen nicht an«, sagte Damián trocken. »Außerdem sind wir gleich da.«
    Elena ließ sich bewegen weiterzugehen. Das Grün öffnete sich plötzlich und gab den Blick frei. Es war wie ein Eckchen vom Paradies. Ein Rinnsal klaren, hellen Wassers fiel über eine grüne Kante einen vielleicht fünf Meter hohen Felsen herab in einen unvermutet großen smaragdgrünen See, dessen Ausfluss sich im Schatten zwischen Bäumen und großblättrigen Stauden verlor. Das grüne Leuchten des Sees entstand dort, wo die Sonne auf die Wasserfläche fiel.
    »Wir nennen ihn den Smaragdsee«, sagte Damián.
    »Die Männer drüben, wir hier!«, ordnete Elena an. Sie hatte sich schnell wieder gefangen und ihren Sinn für praktischen Anstand in Gang gesetzt. Damián und mein Vater begaben sich hinter die mannshohen Wurzeln eines Baums, sodass Elena und ich uns in Ruhe ausziehen konnten.
    Ich probierte mit der Zehenspitze. Das Wasser war eiskalt. Es hatte auf keinen Fall mehr als 18 Grad. Ich hörte, wie mein Vater und Damián sich ins Wasser warfen. Es wurde Zeit, dass auch wir hineinkamen. Ich ergriff Elena am Arm und zog sie mit mir. Sie kreischte. Ich warf mich ins Nass. Als Elena die Männer sah, ließ sie sich ebenfalls fallen. Sie japste. Es war so kalt, dass man einfach schwimmen musste, um nicht tot zu versinken.
    Ich schaute mich nach Damián um. Er schwamm mit langen kräftigen Zügen in den See hinaus. Mein Vater keuchte vor Kälte. Wie ich ihn kannte, würde er nicht lange im Wasser bleiben. Elena kreischte und kicherte permanent und schaufelte mir Wasser ins Gesicht. Ich spritzte zurück und versuchte sie zu überzeugen, dass sie ein paar Meter mit mir schwamm. Aber sie gab schon nach ein paar Zügen auf. Jetzt durfte es nicht so aussehen, als würde ich Damián hinterherschwimmen. Auf keinen Fall! Ich peilte die Sonnenstelle im See an und streckte mich im Wasser. Es tat gut. Nach zehn Zügen spürte ich die Kälte nicht mehr. Das Wasser war klar und schmeckte süß. Der ferne Wasserfall trieb kleine Wellen über die Fläche. Manchmal sah ich Fische fliehen.
    Wo die Sonne auf die Fläche traf und das eigenartige grüne Leuchten hervorrief, war das Wasser deutlich wärmer. Die Sonne schien mir direkt in die Augen und glitzerte in den Tropfen, die mir in den Wimpern hingen. Ich wischte mir das Wasser aus den Augen und drehte mich zum Ufer um. Mein Vater und Elena waren schon wieder aus dem Wasser gestiegen und dabei, sich links und rechts vom Baum anzuziehen.
    Und wo war Damián?
    Ich entdeckte seinen schwarzen Schopf sehr viel weiter drüben. Auch er war auf dem Rückweg. Eine kleine Enttäuschung zuckte in mir. Ich versuchte, sie zu vertreiben. In Wahrheit hatte ich, als wir zum See gingen, hektisch darüber nachgedacht, ob sein Schamgefühl ein anderes war als meines und ob ich es fertigbrachte, mich einfach nackt auszuziehen. Und würde er sich gänzlich entkleiden? Zumindest seinen schlanken und muskulösen Oberkörper, den ich unter dem Gärtnerhemd schon erahnt hatte, würde ich wohl zu sehen bekommen. Und nun? Nichts dergleichen. Aber vielleicht war es besser so. Ich wäre entweder augenblicklich in Ohnmacht gefallen oder unendlich befangen gewesen.
    Ich versuchte im Wettkampfrhythmus zu schwimmen und konzentrierte mich auf meinen Atem. Das Ufer tauchte schneller vor mir auf, als ich erwartet hatte. Allerdings war ich von der Richtung abgekommen. Ein Baum stand schräg in den See hinein. Seine Blätter bildeten einen Vorhang zwischen mir und der Stelle, wo sich mein Vater und Elena befanden. Daneben leuchtete ein kleiner von der Sonne beschienener Fleck.
    Ich machte noch ein paar

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