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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Verächtlichkeiten zu überhören. Ich hatte nicht die geringste Absicht, ihr tatsächlich ein einziges wahres Wort von dem zu erzählen, was Damián und ich besprochen hatten und was nur ihn und mich etwas anging. Aber Elena ließ sich ohnehin leicht mit meinem Bericht über Onkel Tano ablenken.
    »Stell dir vor, Damián glaubt, dass dieser Onkel und sein Trupp die fünf Jungs von Major Antonios Truppe umgebracht haben. Es soll sich um eine alte Feindschaft ehemaliger Waffenbrüder handeln. Don Antonio ist wohl entkommen. Tano soll von dem Freund der Frau im Büro des CRIC erfahren haben, dass Antonio uns in Popayán gefangen hält, um an Damián heranzukommen. Tano ist dann wohl sofort losgezogen, um sie zu überfallen.«
    Elena überlegte einen Moment. »Dann haben wir es wohl Tano zu verdanken, dass wir unser Satellitenhandy und unseren Schmuck wiederbekommen haben.«
    »Allerdings keinen Peso von unserem Geld«, gab ich zu bedenken.
    Elena zuckte mit den Schultern. »Was ist schon Geld!«
    Damit ihre Gefühle für Onkel Tano nicht so freundlich blieben, erzählte ich ihr, dass er uns womöglich folgen würde, sobald er erfuhr, dass wir Clara zu einem Arzt in die Stadt brachten, weil er nicht wollte, dass sie ihr eigenes Leben führte und gesund wurde.
    Elena guckte sich besorgt um. »Was glaubt der, wer er ist!«, fluchte sie. »Das kann er doch nicht bringen. Wir leben doch nicht mehr in der Zeit der spanischen Eroberer!«
    »Damián sagt«, fuhr ich fort, »das würde Tano nicht wagen, weil er die schwarze Magie seiner Schwiegermutter fürchtet.«
    Jetzt guckte Elena mich erschrocken an.
    »Du hast vermutlich schon von ihr gehört«, erklärte ich. »Mir hat jedenfalls Felicity Melroy – die Grauhaarige, die mir auf dem Ball mit dem Kleid geholfen hat, du erinnerst dich – von einer Wunderheilerin erzählt, die in Bogotá lebt. Im Norden, in einem Haus im Wald mit geheimnisvollen Zeichen und Gesichtern an den Pfosten. Zu der alle gehen, wenn die Schulmedizin nicht mehr weiterhilft.«
    »Ach, die Kräuterhexe! Ja, von der habe ich auch schon gehört. Meine Mutter wollte schon mal zu ihr gehen, wegen ...« Elena winkte ab. »Egal! Mein Vater war total dagegen.« Sie lachte auf. »Und weißt du warum? Mein Vater glaubt nämlich insgeheim an die Macht der alten Magie. Das ist das indianische Blut von irgendeiner Großmutter oder Urgroßmutter. Aber er will natürlich nicht zugeben, dass es ihm Angst macht. Deshalb hat er meiner Mutter verboten, die alte Hexe aufzusuchen. Man weiß ja nicht, ob sie die schwarze Magie anwendet. Mein Vater hat viele Feinde, weißt du.«
    »Und, glaubst du daran?«, fragte ich.
    »Ich bin mir nicht sicher. Man hat schon die wundersamsten Sachen von solchen Leuten gehört. Ein bisschen unheimlich ist es schon. Aber ob da wirklich was dran ist ... Ich weiß nicht. Immerhin hat sie Clara nicht heilen können, nicht wahr?«
    »Vielleicht ist das wie bei einem Psychologen. Da heißt es doch auch: Allen möglichen Leuten kann er helfen, nur sich und der eigenen Familie nicht.«
    »Vielleicht«, antwortete Elena nachdenklich.

de

– 22 –
     
    G egen Mittag hielten wir auf einer kleinen Lichtung mitten im grünen Urwald. Clara brauchte eine Pause. Sie hatte Schmerzen in Armen und Beinen. Mein Vater spritzte ihr ein Schmerzmittel und empfahl eine halbe Stunde Ruhe, bis die Wirkung voll eingesetzt hatte. In der Mitte der Lichtung befand sich eine kalte Feuerstelle. Auf den Steinen, die sie umgaben, waren die geometrischen Gesichter gemalt, die ich von Juanitas Torpfosten kannte. Das Sonnenlicht drang kaum bis zur Erde durch, so hoch ragten die Bäume empor. Sie standen auf mächtigen Wurzelsockeln, und fünf Männer hätten es nicht geschafft, sie zu umfangen.
    »Pass auf!«, wisperte mir Elena ins Ohr, als wir den Pferden die Zügel hochbanden, damit sie fressen konnten. »Das ist bestimmt ein heiliger Ort. Wenn wir irgendwas abbrechen, dann ziehen wir den Zorn der Götter auf uns, und aus dem Wald tauchen Eingeborene auf und schießen mit vergifteten Pfeilen auf uns.«
    Damián, der ein feines Ohr hatte, drehte sich um und grinste. »Ihr Weißen seid noch abergläubischer als wir.«
    Elena lächelte ertappt. »Na ja! Aber das hier ist doch ein bestimmter Ort.«
    Damián nickte. »Allerdings. Und wenn ihr wollt, dann zeige ich euch, was das für ein Ort ist. Hört ihr das?«
    Er hob den Finger.
    Jetzt hörte ich es auch. Es war ein fernes Rauschen.
    »Wasser?«, fragte ich.
    »Ein

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