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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Züge und schwenkte dann um. Urplötzlich tauchte Damiáns Kopf vor mir auf.
    Sein Haar troff und glänzte, seine Augen blitzten zwischen tausend Tropfen, seine Lippen waren halb geöffnet, Wasser lief ihm das Gesicht hinab. Er stoppte, ließ die Beine sinken und hielt sich nur mit ein paar sparsamen Handbewegungen über Wasser. Ich sah seine Gestalt im grünen Licht unter der Oberfläche, im Spiel der Wellen wabernd, aber dennoch deutlich. Auch ich stoppte. Ich wusste, er sah von meiner Gestalt genauso viel wie ich von seiner, nur dass meine Haut viel heller leuchtete, fast schneeweiß.
    Die geheimnisvollen Strömungen im See oder unsere unwillkürlichen Paddelbewegungen trieben uns zueinander. Er tat nichts dagegen, ich auch nicht. Unsere Hände trafen sich. Er flocht seine Finger in meine. Mir war, als hielte der See den Atem an, keine Welle bäumte sich zwischen uns auf, als sich unsere Lippen berührten. Erst waren es nur unsere Lippen, dann unsere Beine, dann unsere Körper, die sich fanden. Wir versanken. Ich fühlte seine Arme mich heftig und verlangend umschlingen, ich spürte sein Geschlecht an meiner Scham. Eine jähe Erregung raubte mir die Besinnung. So fühlte sich also die Ohnmacht an, die ich die ganze Zeit befürchtet hatte: sanft und mächtig, süß und schmerzhaft. Keinen Gedanken verschwendete ich an die Sorge, dass wir ertrinken würden.
    Wir sanken auf den Seegrund. Nie werde ich das Gefühl vergessen, als er mich losließ, mein fürchterliches Bedauern, meine Trauer, meine Verzweiflung darüber, dass ich zum Luftholen nach oben musste. Und nie werde ich den Anblick seines Körpers vergessen, wie er im smaragdgrünen Wasser über dem Seegrund schwebte: seine schmalen Hüften mit dem Geschlecht, die breiten Schultern, die langen Beine, die Arme, denen ich entglitten war, ohne es zu wollen, nach mir ausgestreckt. Seine Augen waren offen wie meine, sein Blick folgte mir gegen das Licht des Wasserspiegels.
    Als ich wieder Luft bekam und die Welt ihre normale Lautstärke zurückgewonnen hatte, hörte ich Elena nach mir rufen und schwamm mit ein paar Zügen in ihr Blickfeld.
    Damián kam später und aus einer ganz anderen Richtung ans Ufer geschwommen. Da hatten Elena und ich uns längst wieder angezogen.
    Am Pfad zur Lichtung trafen wir uns mit den Männern. Die Kleider juckten etwas auf der feuchten Haut. Aber mein Vater sah erfrischt aus und lächelte vergnügt.
    »Entschuldige«, raunte Damián mir zu, kurz bevor er den kaum sichtbaren Rückweg betrat.
    »Wofür?«, fragte ich leise zurück.
    Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, wie ich es noch bei keinem Menschen gesehen hatte und wie es wohl nur Männer im Moment der tiefsten Freude zeigten, kurz bevor die Frau, die sie begehrten, sich ihnen hingab.
    Wie ein Schatten fiel Elenas Warnung in meine Erinnerung. Erst erklären sie, dass sie dich respektieren und dann ... Aber Elena hatte keine Ahnung. Was zwischen Damián und mir war, war anders. Da ging es nicht nur um Sex. Außerdem wollte ich genau das. Ich wünschte mir, was unser kurzes Treffen im Wasser verhieß. Es war wie ein Versprechen, das er einlösen musste. Er musste! Ich sehnte es herbei wie eine Erlösung.
    War das schon das vierte der sieben Leben der Liebe, die mir Damiáns Großmutter aufgezählt hatte? Erst kam der Schrecken, dann die Blindheit für die Fehler des anderen, dann meine Wandlung zur Frau und dann ... die Erfüllung. War es wirklich nur schnöde Erfüllung, die ich herbeisehnte und die mir wie eine Erlösung vorkam? War ich am Ende gegen die bösen Leben der Liebe gefeit – Zerstörung und Opfer –, solange ich noch nicht mit Damián geschlafen hatte? Zumindest redete ich mir das ein.
    Die nächsten Stunden auf dem Pferd hatte ich jede Menge Zeit, den unwirklichen Moment im Smaragdsee immer wieder und wieder nachzuerleben. Jeden Blick, jeden Atemzug, unsere kurze Umarmung unter Wasser und die Sehnsucht unserer Körper, beieinander zu sein, sein ernster Blick, das Glühen in seinen schwarzen Augen, seine leise Entschuldigung danach. Was für Köstlichkeiten, was für ein Glück! Leider wollte es auch Elena ganz genau wissen. Ihr war natürlich nicht entgangen, dass Damián und ich im See für eine Weile nicht zu sehen gewesen waren.
    »Ich habe gar nicht gesehen, wo Damián war«, behauptete ich.
    Elena lachte ungläubig. Ich hoffte, dass mein Vater sich nicht ähnliche Gedanken machte wie Elena.
    »Du willst mir aber nicht erzählen«, insistierte sie,

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