Der Ruf des Kookaburra
Weiße. Mir ist so vieles, was ich bei den Eingeborenen erlebe, nach wie vor fremd, unverständlich, manches stößt mich sogar ab. Rituale zum Beispiel, die ich als grausam empfinde.«
»Aber?«, hakte John nach.
»Aber in meiner alten Welt bin ich eben auch nicht mehr heimisch. Ich möchte Belle nicht wie eine Weiße erziehen, ich will nicht auf Dr. von Ammon hören, ich möchte als Frau nicht gezwungen sein, den Mund zu halten und mich auf meine Handarbeiten zu beschränken. John, ich fühle mich, als hätte ich verlernt, worauf es in der Gesellschaft ankommt: Gewandtheit in den Umgangsformen, Esprit, Schönheit, Eleganz.« Emma hatte sich in Eifer geredet, jetzt holte sie tief Luft. »Tja, und das sieht man mir leider auch an. Schau dich nur mal um! Und dann wirf einen Blick auf mich.«
John lachte. »Übertreibst du nicht ein bisschen? Wenn ich mich umsehe, entdecke ich bloß Farmerinnen und brave Hausfrauen, dazu Zimmerleute, Holzträger und Pferdebändiger. Von Esprit, Schönheit oder Eleganz keine Spur. Warwick ist nicht gerade London oder Paris. Kein Grund also, dich schäbig zu fühlen.«
Sie lächelte schief. »Vielleicht hast du recht. Aber wenn ich nur diese Wirtin hier anschaue und dann mich … wenn ich ihren abfälligen Blick sehe und ihre Gedanken förmlich lesen kann … dann kann ich sehr gut nachempfinden, wie die Schwarzen sich fühlen müssen, wenn sie in unsere Städte geraten: fremd und unterlegen. Obwohl sie nicht weniger wert sind als die Weißen, sondern nur anders. So wie ich. Also, wenn ich mich einerseits fühle wie meine schwarzen Freunde, andererseits aber nicht aus meiner weißen Haut kann, zu wem gehöre ich dann?« Sie seufzte und stützte das Kinn in die Hände. »Entschuldige. Ich weiß, das klingt alles ziemlich konfus.«
»Nein.« John beugte sich vor und sah sie eindringlich an. »Es zeigt bloß, dass du viel zu lange außerhalb der Zivilisation gelebt hast. Du, eine kluge und schöne junge Frau, fühlst dich so fremd und unterlegen wie eine Schwarze? Und das in einem Nest wie Warwick? Dann solltest du schleunigst etwas dagegen unternehmen! Du musst zu den Weißen zurückkehren, dorthin, wo du hingehörst. Sonst wirst du niemals wissen, wo dein wahrer Platz ist. Du wirst ewig hin- und hergerissen sein zwischen dem Leben, das du gewählt hast, und dem, das eigentlich für dich bestimmt ist.«
Ihre Augen begannen zu brennen. »Das Leben, das mir bestimmt war, ist zu Ende.«
Eine kleine Pause entstand.
Dann stellte John fest: »Du trauerst immer noch.« Es klang nüchtern, doch Emma spürte, dass er verletzt war.
»Mein Mann ist noch kein halbes Jahr fort.«
»Das stimmt.« John bemühte sich sichtlich, jedes Zeichen von Eifersucht zu verbergen. »Aber du kannst nicht ewig vor der Realität davonlaufen, Emma.«
Das Brennen in ihren Augen verstärkte sich. Du liebe Güte, jetzt nur nicht heulen wie ein Kind! Und das vor all den fremden Menschen. »Ich laufe nicht davon.«
»Nein? Warum gibst du dir dann keinen Ruck und kehrst diesem Clan, der dich gar nicht mehr will, den Rücken?«
John legte seine warme Hand auf ihre. Sie ließ es zu.
»Dein Mann und du, ihr hattet ein Projekt«, sagte John leise. »Dieses Projekt war ambitioniert, und es hatte ganz sicher seine Berechtigung. Aber jetzt ist alles anders, Emma. Du bist allein, und du kannst nicht gleichzeitig ein schwarzes Baby versorgen, dich gegen die Widerstände im Clan behaupten und ausreichende Forschungsergebnisse liefern. Ergebnisse, die nicht nur ordentlich, sondern tatsächlich das viele Geld wert sind, das die Kolonialregierung bisher bereit war zu zahlen.«
Ohne nachzudenken, krampfte sie ihre Finger um seine. Angst kroch ihren Rücken hinauf und kribbelte kalt in ihrem Nacken. Wollte John damit etwa sagen … Oh nein, bitte nicht. Das konnte doch nicht sein! Nicht nach all den Monaten, all den verzweifelten Bemühungen; nach der verbissenen Hoffnung, dass zumindest ihr Projekt Bestand haben würde, wenn schon ihre Ehe und ihr Lebensglück auf immer verloren waren.
Doch als sie in Johns Augen blickte, fand Emma auf ihre unausgesprochene Frage genau die Antwort, die sie auf gar keinen Fall hören wollte.
32
D u wirst der Regierung nicht empfehlen, mein Projekt weiter zu finanzieren.«
Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Nein, werde ich nicht.« John hielt ihrem Blick stand. »Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, und es ist mir wahrlich nicht leichtgefallen, dieses Urteil zu fällen.
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