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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Haare mischten sich Silberfäden. Bei genauerer Betrachtung hatte er nicht viel mit Carl gemeinsam, lediglich die athletische Figur, die dunklen Locken und die blauen Augen.
    Aber das Auftauchen dieses Fremden hatte genügt, um den Nebel zurückzudrängen. Und tief in Emmas Seele regte sich eine Ahnung.
    Emma erkannte sie wie eine verschwommene Erinnerung. Schlagartig wusste sie, dass sie derlei sonst nur in der Nacht wahrnahm, in den Träumen, die sie von Carl und dem Dunklen träumte, und sie kämpfte verzweifelt darum, die Ahnung zu fassen zu kriegen. Bevor der Nebel sich wieder verdichten und die Botschaft zurück in die Tiefe stoßen konnte, blitzte sie hell in Emmas Geist auf.
    Einen letzten Versuch, Amazone. Wage nur noch einen einzigen, letzten Versuch.
    Sie atmete tief durch, versuchte, die Forderung zu begreifen.
    Die Wirtin kam mit einem Tablett voller Speisen und Getränke an ihren Tisch. Sie stellte Kaffee, duftendes Brot, Butter und zwei Äpfel vor ihnen ab. John beachtete weder die Frau noch die Speisen, seine ganze, besorgte Aufmerksamkeit galt Emma. Die Wirtin stand noch einen Augenblick unschlüssig herum, dann wünschte sie den Herrschaften einen guten Appetit und räumte verstimmt das Feld.
    »Geht es dir gut, Emma?«
    Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Zum ersten Mal, seit sie John kannte, gestattete Emma es sich, bewusst in die graugrüne Tiefe seiner Iris einzutauchen, sich umspülen zu lassen wie von der kühlen See. Ja, sie würde diesen Mann heiraten, und irgendwann – bald – würde sie ihn auch lieben.
    Aber nicht, solange sie den Kampf um ihr altes Leben nicht endgültig verloren hatte.
    Vier Wochen. Danach gebe ich auf.
    Emma leckte sich über die Lippen und suchte nach den richtigen Worten. »John, deine Zuneigung ehrt mich, und sie macht mich …« Glücklich? Nein. »… und sie macht mich froh. Ich würde deinen Antrag von Herzen gerne annehmen. Aber du müsstest dich dazu bereit erklären, noch ein allerletztes Mal Geduld zu haben.«
    John runzelte die Stirn. Noch wagte er es nicht, sich zu freuen.
    »Ist das ein Ja oder ein Vielleicht?«
    Sie drehte ihre Hand um, die unter Johns warmer Handfläche auf dem Tisch lag, und verflocht ihre Finger mit seinen. »Es ist ein Vielleicht, und ich hoffe sehr, dass du mir deshalb nicht böse bist. Aber, John, ich kann mein altes Leben nicht abschließen, kann meine Hoffnungen nicht begraben, wenn ich jetzt einfach alles zurücklasse. Ich war so viele Monate mit diesem Clan zusammen, habe mich so eng an manche seiner Mitglieder gebunden, an Birwain, Purlimil und Yileen, sogar an die alte Gunur, dass ich es ihnen schuldig bin, mich noch einmal zu bemühen.«
    »Bemühen? Aber worum denn, um Gottes willen?« Es klang eine Spur verzweifelt.
    »Um die Erfüllung der Aufgabe, die mir seit Monaten prophezeit wird. Birwain hat gesagt, sie stünde mir immer noch bevor. Ich habe eine Aufgabe, John, dessen bin ich mir nun sicher, und sie hat mit meinem persönlichen Schicksal genauso zu tun wie mit dem Schicksal des Clans.«
    »So, so. Hat sie das.« Johns Verwirrung wandelte sich in skeptische Ablehnung.
    »Ich weiß, es klingt seltsam. Aber so vieles, was ich in Australien erlebt habe, war seltsam und trotzdem real. Ich möchte es einfach probieren.« Leise fügte Emma hinzu: »Du hast vorhin gesagt, ich darf nicht davonlaufen, und du hattest recht damit. Deshalb brauche ich diesen letzten Versuch, meine Aufgabe zu finden und sie zu erfüllen.«
    John seufzte. Er griff nach einem Löffel und rührte damit in seinem Kaffee herum. Emma fiel auf, dass keiner von ihnen die Köstlichkeiten, die vor ihnen auf dem Tisch standen, angerührt hatte.
    »Wie muss ich mir das denn vorstellen?«, fragte er, ohne sie anzusehen. »Diesen Versuch. Deine Aufgabe.«
    Nun, das war die große Frage.
    »Ich weiß es nicht«, gab Emma zu. »Ich weiß nur, dass mich eine innere Stimme mahnt, noch nicht aufzugeben. Aber wohin sie mich führt?« Hilflos zuckte Emma mit den Schultern.
    John hörte auf zu rühren und starrte sie an. »Innere Stimme! Das wird ja immer besser.«
    Emma war bewusst, wie verrückt ihm das alles vorkommen musste. Tapfer versuchte sie, es ihm begreiflich zu machen. »Na ja, ich habe ständig diese Träume. Als wüsste ich im Schlaf weit mehr, als mir bei Tage klar ist. Und vorhin, John, da war es, als habe dieses Schlafwissen es endlich geschafft, in meinen …«
    »Emma!« John legte seinen Löffel mit einem Klirren auf die Untertasse.

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