Der Ruf des Kookaburra
Lächeln wirkte eine Spur verletzt.
»Also nichts wie rein«, sagte er und reichte Emma seinen Arm.
Wie sich herausstellte, war die Besitzerin des Cafés weniger daran interessiert, mit Emma in ihrer gemeinsamen Muttersprache zu schwelgen, als daran, mit John zu flirten. Sie musste bereits an die vierzig Jahre alt sein, doch für den Charme des jungen, attraktiven Engländers war sie immer noch sehr empfänglich. Mit zusammengezogenen Brauen beobachtete Emma, wie die Frau mit John plauderte und scherzte. Sie war hübsch, wenn sie auch schon einige Falten hatte. Kokett spielte sie mit einer Strähne ihres vollen, kupferfarbenen Haars, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte.
Unwillkürlich griff sich Emma in ihr eigenes Haar. Missmutig fragte sie sich, wann sie selbst sich zuletzt um so etwas wie eine richtige Frisur gekümmert hatte. Sie konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern. Während diese einfache Frau, die in Württemberg gewiss nur eine Bäuerin oder ein Ladenmädchen gewesen war, ihr Haar modisch glatt gescheitelt und hoch am Hinterkopf zu einem kunstvollen Chignon zusammengefasst hatte, lief Emma herum wie dem Armenhaus entsprungen. Zwar hatte sie ihre blonden Locken zu einem geflochtenen Zopf gebunden, doch ihr Haar sah immer noch ungepflegt und schlecht geschnitten aus – was es ja auch war.
Emma starrte die Frau an, die nicht nur besser frisiert, sondern auch ungleich schicker gekleidet war, und plötzlich fühlte sie sich schäbig. Das Einzige, wofür sie sich nicht schämte, waren ihre neuen Schnürstiefel; alles andere an ihr musste in den Augen anderer Menschen erbärmlich wirken:
Der Rock, der an mehr als einer Stelle geflickt war und den sie hochgebunden hatte, weil es praktischer war, bei der Arbeit nicht über am Boden schleifende Säume zu stolpern. Ihre ganze Silhouette, die, weil Emma schon lange keine Krinoline mehr trug, kein bisschen fraulich mehr wirkte. Ihr Cape, das zwar warm und angenehm war, aber rabenschwarz und ziemlich hässlich. Emma hatte sich damals in Ipswich nur für dieses reizlose Modell entschieden, weil es das einzige war, das der Schneider vorgefertigt hatte, so dass sie es gleich hatte mitnehmen können.
Nein, aus Äußerlichkeiten hatte Emma sich schon lange nichts mehr gemacht. Ihre Eitelkeit war ihr fast völlig abhandengekommen, und sie hatte es nicht einmal bemerkt. Carl hatte sie stets mit solch verliebten Blicken betrachtet, dass sie nicht das Bedürfnis gehabt hatte, sich herauszuputzen; außerdem hatten sich ihre Gedanken eher um die Bewältigung des Alltags und um ihre Forschungen gedreht. Dann um Belle. Dann war Carl verschwunden, und John – nun, der hatte sie so kennengelernt, wie sie eben geworden war. Ihn schien es nicht zu stören, dass sie nicht wie eines der Püppchen seiner eigenen Gesellschaftsschicht aussah, sondern eher wie eine Landarbeiterin, und Emma hatte seine Haltung stets für selbstverständlich gehalten.
Bis heute.
Kein Wunder, dass die Württembergerin nicht mit ihr redete! Wahrscheinlich dachte sie, John habe Emma irgendwo auf der Straße aufgegabelt und spendiere ihr nun aus Mitleid eine Tasse Kaffee. Emma schlug die Augen nieder und genierte sich entsetzlich. Erst als die Frau ihren Tisch verlassen hatte, damit sie sich um Speisen und Getränke kümmern konnte, wagte Emma es, ihren Blick von der Tischplatte zu lösen.
»Gefällt es dir hier nicht?«, fragte John. Er hatte sich zurückgelehnt und beobachtete sie.
»Doch, natürlich. Es ist nur …« Emma schluckte hart. Es kostete sie einige Überwindung, die nächsten Worte auszusprechen. »Mir ist klar geworden, wie ungepflegt ich aussehe. Für den Regenwald und die Wanderung mag meine Garderobe in Ordnung sein, aber hier … ausnahmslos jeder hier sieht respektabler aus als ich.« Ihr Blick glitt über die anderen Gäste, dann über ihre eigenen rauen Hände und ihren geflickten, nicht ganz sauberen Rock. Sie lachte unsicher. »Meine Güte, was ist nur aus mir geworden? Eine weiße Wilde. Und es ist mir in den letzten Monaten noch nicht einmal aufgefallen!«
John legte den Kopf schief. »Eine weiße Wilde. Das wolltest du doch immer sein. Und jetzt, wo du es geworden bist, gefällt es dir nicht mehr?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich wollte nie eine Wilde sein.«
»Aber eine ganz normale weiße junge Dame auch nicht.«
»Doch! Das heißt, ich …« Verwirrt hielt sie inne und dachte einige Sekunden nach. »Ich glaube, ich kann gar nichts anderes sein als eine
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