Der Ruf des Kookaburra
klopfte. »Warum quäle ich mich dann ständig mit Englisch ab?«
»Ich kann nur diese beiden Worte. Die haben bisher immer genügt.« John grinste frech und reichte ihr seinen Arm. »Jetzt, schönes Fräulein , reservieren wir uns zwei Zimmer in diesem Grandhotel, und dann machen wir Warwick unsicher!«
Emma sah an dem schlichten, rot gestrichenen Holzgebäude hoch, vor dem ein junger Birnbaum wuchs. »Ist das nicht eher ein Wirtshaus?«
»Ja, aber eines mit sehr gemütlichen Betten«, sagte John gut gelaunt, und Emma fragte sich unwillkürlich, mit wie vielen Frauen er diese Betten wohl schon getestet hatte.
»Woher kennst du Warwick eigentlich so genau?«, fragte sie. »Du kommst doch aus Sydney.«
Während John ihr antwortete, band er die Pferde an einem Holzpflock fest. »Ich reise gerne. Das habe ich dir doch erzählt. Freunde habe ich mittlerweile überall, auch hier in Warwick war ich schon auf Gesellschaften und Bällen. Ich kenne viele interessante, unterhaltsame Menschen, Emma, und ich war in Ecken dieses Kontinents, von denen du wahrscheinlich noch nicht einmal gehört hast.« Er wandte den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. »Solltest du dich entscheiden, dein Leben mit meinem zu verbinden, könnte ich dir all das zeigen. Du würdest dich mit mir nicht langweilen, das verspreche ich dir.« Er grinste. »Mein alter Herr ist sehr großzügig, was die Finanzierung meiner ausgedehnten Touren betrifft.«
»Dein Vater? Du hast doch eine Anstellung.«
»Das bisschen Gehalt würde niemals reichen«, sagte er schulterzuckend. »Außerdem, wer weiß, wie lange mich diese Arbeit noch reizt?«
»Du verlässt dich demnach ganz auf das Vermögen deiner Familie?«
»Warum nicht? Viele junge Männer, die ich kenne, nehmen zeit ihres Lebens überhaupt keine Anstellung an. Die Klasse, der ich entstamme, ist nicht zum Arbeiten geboren, Emma. Das muss dir doch bewusst sein.«
Verunsichert schwieg sie. Johns Einstellung war ihr fremd, obwohl sie ihm kaum einen Vorwurf daraus machen konnte, nach welchen Werten er erzogen worden war. Dennoch: Carls selbstverständliche Eigenverantwortung hatte Emma weit besser gefallen.
»Jetzt aber Schluss mit den ernsten Themen.« John zwinkerte ihr zu. »Die Stadt ruft, Emma. Wir sollten sie nicht warten lassen!«
31
E ine Stunde später stand Emma im Laden des Schuhmachers vor einem wunderhübschen Paar Schnürstiefel – und vor dem peinlichen Problem, John um Geld bitten zu müssen.
Zwar standen ihr etliche Pfund Lohn zu, das wusste sie natürlich. Nicht zu Unrecht war man bei der Regierung in Sydney davon ausgegangen, dass Emma nach dem Verlust ihres Mannes anderes im Kopf haben würde, als regelmäßig auf der Post in Ipswich nach Geld zu fragen. So hatte man John ihren Lohn für drei Monate mitgegeben. Mehr als einmal hatte er Emma bereits angeboten, ihr die Pfundnoten auszuhändigen, waren die drei Monate doch längst verstrichen. Bisher hatte Emma jedoch darauf verzichtet, das Geld anzunehmen, aus dem einfachen Grunde, dass sie es nicht benötigt hatte – und weil sie nicht wusste, wohin damit. Sollte sie etwa in ihrem Zelt mitten im australischen Regenwald einen Sparstrumpf aufhängen?
Um finanzielle Dinge hatte sich in der Vergangenheit stets Carl gekümmert. Es war seltsam genug gewesen, dass Emma darauf bestanden hatte, ihr eigenes Geld zu verdienen; ein Wunsch, den Carl nie wirklich begriffen hatte, schließlich war sie eine Frau. Aber er hatte ihn akzeptiert.
Jetzt war Carl weg, und Emma wurde bewusst, dass sie dem Geldproblem bisher kaum mehr Beachtung geschenkt hatte als ein sorgloses Kind. Sie schämte sich ihrer Kurzsichtigkeit. Viel zu spät fiel ihr nun auch auf, dass John kein Wort darüber verloren hatte, wer ihr Zimmer im Gasthaus bezahlen würde – und dazu ihr Essen, die Besuche im Kaffeehaus, ihre Einkäufe. Ging er etwa davon aus, dass er alles für sie übernehmen würde? Dann musste sie ihm schleunigst klarmachen, dass sie für sich selbst aufkommen wollte.
»Wie für Sie gemacht, Madam, was?« Der Schuhmacher, ein kleiner, feister Kerl mit rotem Gesicht und speckigem Schnurrbart, grinste Emma aufmunternd zu. »’ne Kundin hat sich diese Prachtstiefel anfertigen lassen, und jetzt kannse se nich’ bezahlen. Wollte auf Raten zahlen, aber nich’ mit mir! Na ja, Ihnen müssten se auch passen, denk ich.«
Emma blickte auf ihre Füße hinunter. Die Stiefel, in denen sie tagaus, tagein herumlief, waren abgewetzt, das schwarze Leder zu einem
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