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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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»Ich sage es wirklich nur ungern, aber das klingt äußerst ungesund.«
    Emma verzichtete auf eine Verteidigung, denn das fand sie ja selbst. Dennoch vermochte ihr Unbehagen nicht das Geringste an ihrer Entschlossenheit zu ändern. Es war bizarr: Seit sie diesen Mann gesehen hatte, der sie an Carl erinnerte, wusste sie mit unverbrüchlicher Sicherheit, dass sie auf ihre innere Stimme hören musste. Und dass es um mehr, viel mehr ging als um eine abergläubische Prophezeiung.
    Sie beugte sich zu John vor. »Vier Wochen«, bat sie ihn eindringlich. »Gib mir nur vier Wochen, John. Wenn ich in dieser Zeit nicht herausbekomme, worin meine Aufgabe besteht, werde ich bereit sein, die ganze Sache als Hirngespinst abzutun.« Sie zögerte. Leise fügte sie hinzu: »Dann werde ich den Regenwald verlassen und meinen Mann als verstorben melden.«
    Nach diesen Worten hielt sie die Luft an. Sie wusste, dass sie viel von John verlangte. Doch sie wusste auch, dass sie seinen Antrag ablehnen würde, wenn er ihrer Bedingung nicht zustimmte.
    Langsam nickte er.
    Vier Wochen, dachte Emma, ohne ihren Blick von John zu wenden. Vier Wochen und ein letzter Versuch. Danach werde ich Carl loslassen.
    Und mit ihm alles, was sie sich seit ihrer Ankunft in Australien erträumt hatte.

TEIL 3

1
    E s kam ihr merkwürdig vor, sich mit John zu unterhalten und dabei zu wissen, dass er vielleicht schon bald ihr Ehemann sein würde.
    Sie ritten langsam das Ufer des Condamine entlang, der sich, von hohen Bäumen gesäumt, durch fruchtbares Land schlängelte. Jetzt, gegen Ende der winterlichen Trockenzeit, kam ihnen das Wasser des Flusses nur träge entgegengeflossen, was den beschaulichen Eindruck, den die Gegend auf Emma machte, noch verstärkte. Buschwerk bedeckte die Böschung, frischgrüne Zweige neigten sich dem schlammigen Wasser zu. Auf der anderen Uferseite verdichteten sich die Sträucher mit kleinen Bäumen zu einem Wald, aus dem Vogelgezwitscher erklang. Von der lebensfeindlichen Kargheit, die manche Teile Australiens prägte, war hier nichts zu spüren.
    Sie hatte ihr Cape abgelegt, der Tag war zu schön, um wie ein Rabe auf dem Pferd zu hocken. Von einem milchig blauen Himmel strahlte die Wintersonne, die Luft war sanft. Im Gepäck hatte Emma Zwieback und eine Kanne frischer, rahmiger Milch, die sie für Belle und Gelar besorgt hatte. Da die Temperaturen gestiegen waren, konnte sie nur hoffen, dass die Milch nicht gleich sauer werden würde. Ob die Babys den ungewohnten Brei überhaupt als Nahrung akzeptieren würden? Schnell verdrängte Emma diesen Gedanken. Auch darüber, dass sie im Falle eines Erfolges ständig Nachschub besorgen müsste, dachte sie lieber nicht nach.
    Sie hatte schwerwiegendere Probleme.
    John versuchte, sie mit charmanter Konversation zu unterhalten, doch Emmas Gedanken schweiften immer wieder ab, hin zu der Frage, die alle anderen überlagerte: Was würde mit Belle geschehen, wenn Emma den Clan verließ, um zu heiraten?
    In der ersten Nacht, nachdem sie Johns Antrag auf Vorbehalt angenommen hatte, hatte sie in ihrem Wirtshauszimmer noch lange wach gelegen. Eigentlich war es ja überhaupt keine Frage, dass Emma ihr Baby mitnehmen würde, um es mit ihr und John als Eltern aufwachsen zu lassen.
    Eigentlich.
    Aber war dieses Vorhaben nicht, aus der Nähe besehen, recht egoistisch von ihr?
    Denn was konnte sie Belle schon bieten? Nahrung, Kleidung und eine Familie; Liebe, Fürsorge und ein gefahrloses Leben. Natürlich war das viel wert. Aber würde Belle nicht all das auch bekommen, wenn sie beim Clan bliebe? Dayindi, Belles größter Feind, war nicht mehr da, und die anderen Eingeborenen hatten das Baby längst als eines der ihren anerkannt. Yileen und Gunur würden sich um Belle kümmern, selbst wenn Purlimil nicht von ihrer Schwermut geheilt würde. Auch ohne Emma würde Belle also in der schützenden Gemeinschaft ihrer Verwandten zu einem glücklichen Menschen heranwachsen; zu einer Frau, die genau auf die Weise lebte, die ihr bestimmt war.
    Mit Emma und John hingegen, fern dem Clan in der Zivilisation, würde für Belle alles anders sein. Als Schwarze unter lauter Weißen, die auf sie herabsehen würden, würde Belle sich ständig als minderwertig empfinden. Dieser Gedanke war für Emma unerträglich. Im Café der Württembergerin hatte sie einen vagen Eindruck davon bekommen, wie elend sich die Verachtung anderer Menschen anfühlte. Wollte sie Belle wirklich zumuten, diese unverdiente Schmach ein Leben lang zu

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