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Der Ruf des Kookaburra

Der Ruf des Kookaburra

Titel: Der Ruf des Kookaburra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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galoppierte auf ihrer Stute das Flussufer entlang.

2
    B irwain stand mit den Füßen im Wasser, den Speer aus Holz und Knochen in der Hand, und sah Emma entgegen.
    Er war sich nicht sicher gewesen, ob sie überhaupt zurückkehren würde. Vor wenigen Wochen noch hätte er nicht daran gezweifelt, aber jetzt?
    Die anderen Männer hatten Emma noch nicht bemerkt. Sie fuhren fort, mit ihren Speeren die silbrigen, schwarz gefleckten Fische mit den zartrosa Bäuchen aufzuspießen, sooft eines der Tiere unvorsichtig genug war, sich in die Nähe des Ufers zu wagen. Vollkommen unbeweglich standen die Männer im seichten Wasser, warteten und beobachteten konzentriert die Wasseroberfläche. Es war eine Art des Jagens, die ihnen nicht oft vergönnt war und die deshalb einen besonderen Reiz auf sie ausübte, besonders auf die Jüngeren. Jeder Mann liebte schließlich die Herausforderung. Zumindest wenn sie nicht so groß war, dass man nur an ihr scheitern konnte.
    Wie an den D’anba.
    Hinter Emma sprengte der Engländer heran. Birwain brummte unwillig. Hatte sie sich also wie erwartet nicht von John trennen können. Birwain war gespannt, wie sie seine Anwesenheit rechtfertigen würde; ob ihre Gründe gut waren.
    Aber selbst wenn: Lange würde er John nicht mehr dulden können. Die Probleme waren zu drängend geworden, Purlimil zu schwach, die Stimmung im Clan zu furchtsam und erregt, als dass er es riskieren konnte. Ein weiterer Zwischenfall wie der mit John und Nowalingu würde unabsehbare Folgen haben. Vielleicht würden die Männer froh sein, endlich ein greifbares Ziel für ihre Aggressionen zu haben, und würden ihre Anspannung mit Freuden an John abreagieren. Oh nein, Birwain war nicht bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen.
    Ich bin einfach zu alt für diesen Kampf, dachte er müde, für den Kampf und alles, was er mit sich bringt.
    Oder der Kampf war zu groß für ihn; wäre immer zu groß für ihn gewesen. Für sie alle.
    Birwain verzog vor Schmerz das Gesicht, als er ein weiteres Stück seiner Seele verlor. Er hatte immer geglaubt, die D’anba würden Seelen als Ganzes rauben. Stattdessen schien es, als zupften sie langsam und quälend Stück für Stück ab.
    Ob Purlimil sich so gefühlt hatte wie Birwain in diesem Augenblick, in den langen Wochen, in denen sie immer ruhiger und trauriger geworden war?
    Ob Birrinbirrin sich so fühlte und darum so ruhelos und wütend wirkte?
    Ob auch Gunur sich so fühlte und deshalb nur die traurigsten Lieder sang, wenn sie Belle in den Schlaf wiegte, während Emma nicht da war?
    Ob sogar Dayindi etwas Ähnliches durchgemacht hatte? Vielleicht war er deshalb fortgegangen. Vielleicht suchte er seine Seele.
    Fragen über Fragen, aber nirgends eine Antwort.
    So lange hatte Birwain gedacht, Emma trage die Antwort in sich. Schon als er sie das erste Mal gesehen hatte, hatte er geahnt, dass die Geister sie für etwas Großes auserwählen würden. Und Gunurs Prophezeiung hatte ihn darin bestätigt.
    Aber dann war Carl verschwunden, und Emma hatte sich auf ihrer Suche nach Trost verliebt. In einen jungen Mann, der – im Gegensatz zu Carl – niemals ein Gespür dafür haben würde, dass es noch andere Wahrheiten gab als die der Weißen. Der sich zwar bemühte, seine vermeintliche Überlegenheit nicht zur Schau zu stellen, dabei aber aus jeder Pore die Arroganz der Stärkeren atmete.
    Verloren, dachte Birwain resigniert. Wir haben Emma verloren. Und ich, ich habe viel zu lange zugeschaut, wie sie uns entglitten ist. Bis es zu spät war.
    Nur deshalb hatte Birwain Emma nahegelegt, den Clan zu verlassen: weil es sowieso zu spät war. Emma hatte sich schon längst dazu entschlossen, Augen, Ohren und Herz zu verschließen, statt den Ahnungen nachzugeben, die die Marmbeja ihr einflüsterten. Davon, dass sie das taten, war Birwain überzeugt, ebenso sicher war er allerdings, dass Emma nicht auf die Träume und Stimmen hören würde. Nicht solange sie einen Mann wie John an ihrer Seite hatte.
    Hatte Birwain sich schuldig gemacht, indem er sie dazu ermutigt hatte, Carl zu vergessen? Hatte er Emma in Johns Arme getrieben?
    Er senkte den Kopf. Am liebsten hätte er sich in den Busch zurückgezogen, mitsamt seinem Scheitern und seinen Irrtümern. Er wollte sich aufgeben, wollte seiner Müdigkeit nachgeben und die D’anba ihre Arbeit an seiner Seele vollenden lassen.
    Aber das durfte er nicht, denn der Clan brauchte ihn, denn weder als Schamane noch als law man war ein Nachfolger in Sicht.

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